Almodóvar: Sex von allen Seiten

(c) Tobis
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Almodóvars surrealer Thriller „Die Haut, in der ich wohne“: Zitaten-Bergwerk, das mit böse verspieltem Einfallsreichtum überwältigt. Almodóvar schwelgt in einer Lovestory, die alles berührt, aber kaum die Außenwelt.

Erlebt das Mystische angesichts imaginiert oder real bedrohlicher Zeitläufte eine Renaissance? Ein schwedischer Lyriker erhält für seine minimalistisch-globale Poesie den Literatur-Nobelpreis – und der spanische Regisseur Pedro Almodóvar schwelgt in einer Lovestory, die alles berührt, aber kaum die Außenwelt. Allerdings geht es um ein bis zum Erbrechen strapaziertes aktuelles Thema: Schönheitschirurgie.
Aber was macht der aus der Landschaft des Helden von La Mancha stammende Almodóvar? Er kämpft gegen Windmühlenflügel, schraubt die Stereotypen des Themas ins absolute Extrem empor – und dreht Hollywood eine lange Nase: Ein ehemaliger Trash-Künstler surft einfallsreich auf dem Mainstream. Dabei blieb er quasi auf dem halben Weg in Richtung US-Kommerz stecken, das ist ein Glück für diesen Film.
Klaustrophobisch wirkt die Atmosphäre in Die Haut, in der ich wohne: Der Schönheitschirurg Robert Ledgard will die perfekte unempfindliche Haut entwickeln. Seine geliebte Frau Gal brannte mit seinem Halbbruder durch, bei einem Autounfall wurde sie grausam entstellt und wählte den Freitod. Wie später Roberts Tochter, sie sah die Mutter aus dem Fenster in den Tod stürzen und beging Selbstmord, nachdem ein Partygast sie vergewaltigte. Robert nimmt an dem jungen Mann grausame Rache: Vicente wird zu Vera umoperiert, der Robert die Gestalt seiner toten Ehefrau gibt. Vera verwandelt sich auch seelisch in die verlorene Gattin, aber nicht ganz, was zur Katastrophe führt . . .

Keine Angst vor Melodramen

Die Liebe ist hier von grausamer Gestalt, die Separierung in Geschlechter aufgelöst. Menschen stürzen kopflos ineinander, sobald die Gefahr besteht, dass sie sich erkennen, flüchten sie: Der junge Mann und das junge Mädchen sind völlig zugedröhnt, als sie im Park miteinander schlafen. Auf schwarzen Laken finden nach schweren Turbulenzen Vera und Robert endlich zusammen, doch der Akt ist aus seelischen wie körperlichen Gründen unmöglich: „Sollen wir es von hinten machen?“ Fragt er. Obwohl die Story melodramatisch ist, wirkt sie die meiste Zeit nicht so: Menschen, die keine Angst vor Melodramen haben, erleben hier eine besonders feinsinnige, raffiniert komponierte Variante.
Almodóvar scheute noch nie das Zitat. Die Frankenstein-Figur stand hier Pate, Hitchcock ist dabei, aber auch Ingmar Bergman – und das Pathos des Western. Die Kritiker bei der Preview lachten, weil das umoperierte Mann-Mädchen Vera Cruz heißt: Penélope Cruz spielte die Hauptrolle der sich in alle Diven Hollywoods verwandelnden Schauspielerin in Almod?ars Film Zerrissene Umarmungen. Vera Cruz (1954) ist aber auch ein berühmter Western von Robert Aldrich, in dem zwei wackere Glücksritter (Gary Cooper, Burt Lancaster), homophil bewegt, aneinandergeraten. Homosexualität war damals noch verboten, 2005 in Brokeback Mountain (mit Heath Ledger) durfte sie sich wenigstens zeigen, wurde aber sogleich problematisiert. Almodóvar, der große Frauen- und Männer-Versteher, geht differenzierter und fantasievoller vor.
Falls er Penélope Cruz vermisst hat, merkt man dies dem Film zumindest nicht an. Die Schauspieler folgten dem Regisseur und Drehbuchautor präzis durchs traumverloren-albtraumhafte Ambiente, zwischen rührender Musealität (alter englischer Krimi) und heutigem trügerischem Kleinstadtidyll: Roberts Privatinstitut hat sich dort etabliert, weil er, von der Obrigkeit ungestört, Experimente machen kann. Die Frauen sind froh, wenn sie nicht ertappt werden, wenn sie sich zum Schnipseln begeben. Die bildende Kunst spielt eine wichtige Rolle – als Verwandte der Schönheitschirurgie: Roberts Haus ist voll mit sprechenden Motiven, von der altmeisterlichen Venus zu den bizarren rosafarbenen Körperzusammenballungen von Louise Bourgeois: „Troubled Times, Seven in Bed“ ist der Titel der Skulptur, die wahrhaft gut zu diesem Film passt, sind doch auch hier stets Lebende wie Tote dabei, wenn zwei einander umarmen.

Der Peter Handke des europäischen Films

Antonio Banderas ist der undurchschaubare Gott in Weiß. Banderas sieht George Clooney und Sean Connery ähnlich, aber, was vielleicht zeitgemäß ist, keineswegs so irr aus wie Anthony Perkins in Psycho, Elena Anaya tröstet sich als Vera mit ihrem „inneren Selbst“ – wozu sie eine Yoga-Lehrerin im Fernsehen animiert hat. Jan Cornet brilliert als Vicente, der Bursche, der des Arztes Tochter Norma (Blanca Súarez) bedrängt; Roberto ?lamo gibt den üblen Halbbruder Zeca im Tigerkostüm, Marisa Paredes die leidgeprüfte Mutter kaum unterschiedlich brutaler Söhne. Mag sein, dass sich gegen die schwere Emotionalität, die tiefschürfende Psychologie und den altmodischen Stil dieses Filmes einiges einwenden lässt, er ist auf jeden Fall ein unglaublich gedankenreiches Kunstwerk: Almodóvar, der Peter Handke des europäischen Films.

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