Harry Belafonte: "Unterdrückung hat viele Gesichter"

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Harry Belafonte Unterdrueckung viele(c) APA/HERBERT P.OCZERET (HERBERT P.OCZERET)
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Belafonte präsentierte bei der Viennale eine CD, eine Doku und seine Memoiren. Mit der "Presse" sprach er über Psychoanalyse und Rassismus. Und erklärte, dass Obama sich zu wenig um die Armen kümmere.

Mit dem inspirierenden Dokumentarfilm „Sing My Song“, der gleichnamigen CD und seinen im Februar auf Deutsch erscheinenden Memoiren präsentierte Harry Belafonte bei der 49. Viennale ein dreiteiliges Maßnahmenpaket zur Ermunterung der ein bisserl apathischen, westlichen Jugend. Die Autobiografie „My Song“ ist ein aufregendes Erinnerungsbuch eines Menschen, der – geprägt durch grimmige Armut und wüste Rassendiskriminierung, aber auch durch das Theater des deutschen Exilanten Erwin Piscator – zum konsequenten Sozialaktivisten wurde.

Seinen Ruhm, den er als Folk- und Calypsosänger und Schauspieler erworben hatte, stellte er in den Dienst politischer und sozialer Bewegungen. Und er gewann prominente Kollegen für die jeweils gute Sache: Marlon Brando und Sidney Poitier halfen beim Kampf gegen die Rassentrennung, Michael Jackson, Bob Dylan und Bruce Springsteen viel später bei „We Are the World“, das der Äthiopien-Hungerhilfe zugutekam. Susanne Rostock schnitt nun aus viel Archivmaterial und aktuellen Interviews einen kurzweiligen Film, der die wichtigsten Stationen in Belafontes politischem Leben zeigt.

In Wien zeigte sich der 84-Jährige trotz des übergroßen Rummels um seine Person optimistisch und gut gelaunt – und sprach im „Presse“-Interview mit großem Elan über sein Leben und seine Überzeugungen.

Beinah fünf Jahrzehnte nahmen Sie die Dienste eines aus Krems stammenden Psychoanalytikers in Anspruch. Wie hilfreich war die Analyse?

Sie hat mich sehr ermutigt. Als ich mich zum ersten Mal an Peter Neubauer, diesen großen Denker und Forscher des Sigmund-Freud-Instituts wandte, war ich in einem Zustand großer Verzweiflung. Ich hatte eine zutiefst verstörende Erfahrung mit einem anderen Psychotherapeuten gemacht, der sich letztendlich als FBI-Informant entpuppte. Er nannte sich Jay Richard Kennedy und war verdächtig oft an meinen Aktivitäten im Civil Rights Movement interessiert.

Was waren Ihre Probleme?

Das waren in der Kindheit gewachsene innere Konflikte und meine Konfusion darüber, dass ich zum Star geworden war und gleichzeitig im Süden der USA wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wurde. Jay Richard Kennedy, der eigentlich Samuel Solomonick hieß, wie ich später erfuhr, hatte keine Antworten darauf. In Peter Neubauer fand ich den perfekten Analytiker: Die Gespräche mit ihm haben mich zu neuen Horizonten geführt.

Ihr großes Vorbild, der sich politisch links engagierende Sänger Paul Robeson, bekam in der McCarthy-Ära Auftrittsverbot in den USA. Wie weit gehen Ihre Sympathien für antikapitalistische Konzepte?

Sehr weit. Es war nicht allein Paul Robeson, der mich auf diesen Pfad führte. Da gab es viele progressive Denker, die mich formten. Am meisten Einfluss hatte aber, dass ich in extremer Armut aufgewachsen bin. Diese Erfahrung sagte mir: Mit dieser Gesellschaft kann etwas nicht stimmen. Wenn man zusätzlich Rassismus erlebt, sucht man weniger nach Ideologien, sondern vielmehr nach konkreten Antworten und Lösungen.

Sie engagieren sich stark für die Gewerkschaft des US-Dienstleistungsgewerbes. Warum?

„Bread & Roses for Local 1199“ nennt sich die Initiative, die ich gemeinsam mit meinem Sohn David vorantreibe. Local 1199 ist die größte und aktivste Gewerkschaft in den USA, sie vertritt Berufe wie Straßenkehrer, Hausbesorger, das Hilfspersonal in den Krankenhäusern. Diese Menschen verrichten mit viel Würde eine Arbeit, die oft mit Geringschätzung bedacht wird. Ich will, dass sich diese Menschen künstlerisch mit ihrem Alltag und ihrem Kampf auseinandersetzen. Dafür braucht es eine öffentliche Plattform, ähnlich, wie sie Woody Guthrie in der Great Depression organisiert hat.

Vieles, was die Gewerkschaften in den letzten hundert Jahren für die Arbeiter erreicht haben, scheint heute wieder gefährdet. Wie sehen Sie die Lage?

Das soziale Gefüge ist fragil wie lange nicht mehr. Aber das muss wohl immer auch so sein, weil sich die Kräfte mit jeder neuen Generation verschieben. Was sich heute vielerorts als neue Form von Unzufriedenheit artikuliert, passt nicht in vorgestanzte ideologische Denkmuster. Die Unterdrückung hat viele Gesichter, die Reaktion darauf ebenfalls. Sehr positiv finde ich den jetzt aufbrechenden Widerstand gegen die Banken, weil es Institutionen sind, die ihre Macht missbrauchen.

Zu Zeiten des Endes der Rassentrennung vermittelten Sie zwischen John F. Kennedy, Robert Kennedy und Martin Luther King. Wie beurteilen Sie die Situation in den USA heute?

Die Lage hat sich stark verbessert, ohne völlig friktionsfrei zu sein. Rassismus ist das Krebsgeschwür jeder Gesellschaft. Die Präsidentschaft Barack Obamas löst immer noch rassistische Statements aus. Aber die USA waren halt auch Avantgarde darin, das größte rassistische Regime zu begründen, das es jemals auf Erden gab. Das kann nicht innerhalb von wenigen Generationen völlig verschwinden.

Haben heutige Politiker überhaupt noch die Macht, etwas zu verändern?

Politiker haben immer Macht. Manche denken sogar, sie hätten absolute Macht. Dass für unveränderlich gehaltene Verhältnisse jäh kippen können, zeigen die erstaunlichen Vorgänge in Nordafrika. Präsident Obama kümmert sich zu sehr um die Mittelklasse, zeigt zu wenig Herz für die Armen. Mir gefällt, wie jetzt von Washington bis Peking darüber gestaunt wird, dass sich die nicht ewig alles gefallen lassen.

Was halten Sie für den größten Erfolg Ihres gesellschaftspolitischen Engagements?

Dass mich junge Leute mit meinen 84 Jahren immer noch zur Weltlage befragen, finde ich großartig. Es beweist mir, dass ich wohl nicht alles falsch gemacht habe.

Auf einen Blick

Harry Belafonte, geboren 1927 in Harlem, Musiker und Schauspieler, hat den Calypso-Sound aus Trinidad weltweit populär gemacht. Er engagiert sich politisch und sozial, für den Frieden und gegen die Atomkraft. Seit 1987 ist er Botschafter der Unicef (Kinderhilfswerk der UNO).

Bei der Viennale stellte er am Samstagabend im Wiener Gartenbaukino seine Dokumentation „Sing Your Song“ vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2011)

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