„Cheyenne – This Must Be the Place“: Sean Penn als Rocker auf Nazi-Jagd

(c) Lunafilm / Opulence Studios
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Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino konfrontiert in dem Roadmovie „Cheyenne – This Must Be the Place“ die oberflächliche Pop-Welt mit dem Holocaust. Sorrentino bleibt dabei oberflächlich. Ab Freitag.

Bleiche Schminke, Kajal um die Augen, roter Lippenstift und eine Goth-Rocker-Frisur, die schon sehr lange aus der Mode gekommen ist. In der ersten Szene von „Cheyenne – This Must Be the Place“ sieht man in Details, wie sich Sean Penn morgens herrichtet – im alten Stil von „The Cure“-Frontmann Robert Smith: Penn spielt Cheyenne, einen Rockstar, der seit 20 Jahren keine Musik mehr macht, aber noch immer im alten Bühnenoutfit herumläuft.

Der Exzentrik nicht genug: Ausgebrannt schlurft Cheyenne durchs Bild, reagiert langsam und spricht (jedenfalls im Original) mit einer weichen, nasalen Stimme wie die parodistischen Lehrerfiguren in Zeichentrickserien von „South Park“ bis „Beavis & Butt-Head“.

Eine Witzfigur? Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino beginnt seinen ersten englischsprachigen Film forciert unernst, um sich die Schwere für später aufzuheben, so der Titelfigur nachträglich Tiefe zu geben – doch das Gambit geht nicht auf. Cheyenne ist eine Art trauriger Clown, und Sorrentino liebt das Clowneske mehr als die Tragödie: Sein letzter Film „Il divo – Der Göttliche“ erzählte die Geschichte des Ex-Ministerpräsidenten Giulio Andreotti als Groteske, mehr interessiert an spektakulären Stilmanierismen als an Substanz. Diesmal geht es Sorrentino ruhiger an, es ist ja ein mäanderndes Roadmovie. An Kamerafahrten mit dem Kran, komischen Bildkompositionen mit skurrilen Details und bizarren Weitwinkelaufnahmen herrscht aber kein Mangel. Einmal sitzt Cheyenne in seiner Designerküche und macht sich Tiefkühlpizza: Über ihm steht groß an der Wand „Cuisine“. Später wird er sich bei seiner Gattin (Frances McDormand) über die Aufschrift beschweren: Es wäre ihm doch klar, dass dies die Küche sei! Das ist leider typisch für Sorrentinos angestrengten Umgang (nicht nur) mit Gags.

Vom Stillstand zum David-Byrne-Konzert

Die erste Hälfte des Films skizziert einen Stillstand: Cheyenne ist wie ein Kind geblieben (seine Frau erklärt es sicherheitshalber nochmals), die Musikerkarriere hat er nach Fan-Selbstmorden beendet. Er spielt Pelota im leeren Pool seiner irischen Villa, erzählt Witze ohne Pointen und wird bei Ausflügen für sein exzentrisches Aussehen belächelt (zwei kichernden Frauen im Supermarkt sticht er zur Rache heimlich ins Milchpackerl). Angelegentlich findet er Zuspruch: Ein Jungmusiker erzählt Cheyenne begeistert, dass seine Band „The Pieces of Shit“ heißt. Eine exzellente Wahl, meint Cheyenne. Sie habe auch monatelanges Nachdenken erfordert, entgegnet der Junge – und noch besser: Der Name passe perfekt zur heutigen Zeit!

Mit vergleichbarer Unbefangenheit will sich Sorrentino Relevanz sichern, indem er in der zweiten Filmhälfte die oberflächliche Pop-Welt mit nichts weniger als dem Holocaust konfrontiert: Cheyennes Vater, ein Auschwitz-Überlebender, stirbt in New York. Der zu spät gekommene Sohn vertieft sich in die väterlichen Tagebücher und beschließt, dessen Lebenswerk zu vollenden. Im Mittelwesten der USA sucht Cheyenne jenen einstigen KZ-Aufseher, an dem sich sein Vater rächen wollte – und findet in typischer Roadmovie-Manier dabei sich selbst.

Mit der Fahrt in die USA kommen schöne Landschaftsbilder im Stil der Americana-Exkurse von Wim Wenders, doch die Inszenierung bleibt überdreht statisch: In den Totalen hängen nun eben Amerikaner mit Cheyenne verloren herum. Die sollen repräsentativ sein, bleiben aber aktualisierte Klischees: engstirnige Geschichtslehrerin, gute Kriegswitwe, komische Typen wie der philosophierende Erfinder des Rollkoffers (Harry Dean Stanton). Sorrentino verschreibt sich dem banalen Pop-Aspekt des Films, die beste Szene ist ein surreales Konzert von David Byrne mit seinem alten Talking-Heads-Hit „This Must Be the Place“. Byrne komponierte auch den Soundtrack, der so wenigstens wärmer ist als das Wenders-Gegenstück: Pathos-Rock von U2. Aber Sorrentino sucht ähnlich verkrampft nach einem verklärten Amerika-Bild. Das muss sich aber seinem Kunstwillen unterordnen, wie alles hier – was sich schlecht mit der Beliebigkeit seines Zugangs verträgt. Noch schlechter verträgt sich die unter Exzentrik verborgene Durchschnittlichkeit seiner Ideen mit der finalen Konfrontation, wo sich die Vergangenheitsbewältigung in einem symbolischen Akt individueller Erniedrigung erschöpft. Dann kehrt Cheyenne als Erwachsener heim und sieht aus wie Sean Penn – als wäre er von einer Wohlfühlreise zurückgekommen.

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