„Presse“-Filmpremiere: Aufgeklärter Leibarzt, kopflos verliebt

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Regisseur Nikolaj Arcel verfilmte die dramatische Geschichte des reformerischen Doktor Johann Friedrich Struensee am dänischen Hof gegen Ende des Absolutismus: opulent, beflissen und sentimental.

Am schönsten wird die Idee der Aufklärung, die im Kinofilm „Die Königin und der Leibarzt“ Hoffnungen weckte (bald enttäuschte), im Schlussbild symbolisiert. Die dänischen Königskinder betreten das dunkle Gemach ihres Vaters, des faktisch entmündigten, kindischen Monarchen Christian VII. Er sitzt am Bett, da öffnet die Tochter die Jalousien und lässt das Licht rein. Im Abspann wird erzählt, dass die Kinder dann doch noch den Fortschritt nach Dänemark brachten.


In den 130 Minuten zuvor war in diesem opulenten Kostümfilm von Regisseur Nikolaj Arcel eine dramatische Episode der dänischen Geschichte gezeigt worden, während der die Aufklärung kurz triumphierte, schließlich aber einem Putsch der Reaktion unterlag. Das war die sogenannte Struensee-Zeit. Johann Friedrich Struensee, einem Armenarzt in der dänischen Enklave Altona bei Hamburg, gelang es zwischen 1768 und 1772, als Leibarzt großen Einfluss auf den blutjungen, psychisch kranken König auszuüben. Er war faktisch der Herrscher von Dänemark, der einige soziale Reformen durchsetzen konnte, der „König von Preußen“, wie Christian in einem lichten Bonmot behauptete. Weil aber der Leibarzt mit der von ihrem Gatten nicht geliebten Königin Caroline Mathilde ein Verhältnis begann, ging dieses Experiment der Freiheit böse aus. Bigotte Höflinge nutzen ihre Chance.

Arcel verwebt die Dreiecksgeschichte geschickt mit der großen europäischen Geschichte am Ende des Absolutismus. Aus der Perspektive der Königin, die mit 15 von England nach Kopenhagen gebracht wird, erschließt sich dieser Umbruch. Ihrer Mutter geht es nur um den Aufstieg, dafür nimmt diese sogar in Kauf, dass ihre Tochter einen einfältigen Kranken heiratet, der vom Theater und von Huren mit großen Brüsten träumt, während er vom Staatsrat manipuliert wird.

Mikkel Følsgaard, er war beim Dreh noch Schauspielschüler, gibt den König hochfahrend und unschuldig zugleich wie einen Pubertierenden. Er spielte diesen unausgeglichenen Charakter so überzeugend, dass er dafür in Berlin den Silbernen Bären als bester Darsteller erhielt. Er ist hochgewachsen und nicht zwergenhaft, wie im zugrunde liegenden Roman „Der Besuch des Leibarztes“ von Per Olov Enquist. Das verstärkt die Wirkung der Abhängigkeit von dubiosen Erwachsenen sogar. Auch Struensee, von Mads Mikkelsen geheimnisvoll und intensiv gespielt, gehört zum Kreis der Manipulatoren. Er findet in der Königin, die von der zarten Alicia Vikander erst patzig, dann als große Liebende gegeben wird, eine Verbündete für Reformen. Der Hof beschlagnahmt ihre Bücher aus England, die in Dänemark der Zensur unterliegen. Beim Arzt findet sie in dessen Bibliothek Denker vom Kaliber Diderot, Rousseau, Voltaire.

Ein reger Austausch beginnt. Schließlich wird der König dazu gebracht, Reaktionäre zu feuern. Herrlich ist die Szene, in der Christian der Scheiße in seiner Hauptstadt den Kampf ansagt und mehr Straßenreinigung auf Kosten so mancher Apanage anordnet. Das Entsetzen des Adels ist groß. Struensee darf bei einer Pockenepidemie eine Impfaktion beginnen und schützt so den Infanten. Aber zugleich, und das ist in hübschen Vignetten verpackt, wird auch die absolutistische Gegenseite aktiv. Verräterische Zärtlichkeiten zwischen den Liebenden entgehen der bösen Stiefmutter Juliane Marie (Trine Dyrholm) nicht.

Das Sterben als großes Kino

Besonders die intimen und zugleich offiziellen Tischszenen eignen sich zur Darstellung der Intrigen. In diesen Details ist der Film, der manchmal allerdings aufdringlich bildungsbürgerlich wird und lange im Beschaulichen verharrt, durchaus gelungen. Er schwelgt auch ungeniert im Sentiment und in der Zurschaustellung des Elends, zeigt das pralle Leben in Gestalt geiler Höflinge, das Sauertöpfische im fundamentalistischen Aufsteiger Guldberg (David Dencik). Das Sterben wird hier jedenfalls als großes Kino gezeigt, das Exil im öden Celle als sentimentale Nachbetrachtung, wie im Briefroman.

Neuverfilmung

J. F. Struensee (1737 bis 1772) war ein deutscher Arzt, der 1770 am dänischen Hof zum Minister mit Generalvollmacht avancierte. Nach einer Affäre mit der Königin wurde er hingerichtet – Stoff für mehrere Dramen, Romane und Filme, z. B. „Herrscher ohne Krone“ (1957) mit O. W. Fischer.

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