„Lorax“: Eine Investition in die Zukunft

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Eine apokalyptische Vision? Nein, eine familienfreundliche Komödie! Die Ökofabel „Der Lorax“ zeigt das fantastische Genie von Kinderbuchautor Dr. Seuss.

Dr. Seuss – könnte ein Lungenfacharzt sein, ist aber dann doch einer der erfolgreichsten Kinderbuchautoren der Welt. In der deutschsprachigen Welt sind die dezidiert systemkritischen Abenteuer seiner fantasiebegabten Helden nach wie vor kaum bekannt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die gern im Versmaß des Anapästs eingefangenen Texte schwerlich ins Deutsche hinübergerettet werden können, von den diversen Fantasiewörtern, die durch den Seuss-Kosmos treiben, ganz zu schweigen. Das entbehrt auch insofern nicht einer gewissen Ironie, als Theodor Seuss Geisel, wie sein Name schon vermuten lässt, von deutschen Einwanderern abstammt – mütterlicher- und väterlicherseits.

1971, als er unter dem Pseudonym Dr. Seuss bereits Dutzende Erfolgsgeschichten veröffentlicht hatte, erschien „Der Lorax“. Das schmale Buch, wie stets mit bunten Illustrationen von Autorenhand geschmückt, kreist um die eigentümliche Kreatur des Titels: in orangefarbenes Fell gehüllt, ist der Lorax das Sprechorgan der wunderschönen Truffula-Bäume. Er erscheint, als ein junger Entrepreneur namens „The Once-ler“ eines der Gewächse umhackt, um aus der plüschigen Spitze einen „Thneed“, einen multifunktionsfähigen Stofffetzen, zu fertigen. Die Nachfrage nach dem Stück Textil wächst so rasant, dass der Truffula-Wald zu Brachland wird. Die Menschen gehen voll in der „Thneed“-Philosophie auf: Alle natürliche Schönheit vergessend, hausen sie in einer artifiziellen Stadt, in der die Bäume elektrisch zum Leuchten gebracht werden.

Nur ein Mädchen sehnt sich nach echten Pflanzen: Ihr Verehrer Ted macht sich auf die gefährliche Suche nach einem Stück Natur für die Liebe seines Lebens. „Der Lorax“ ist eine Umweltschutzfabel mit stark antikapitalistischen Untertönen, damit eigentlich eine Ungeheuerlichkeit in der breitenwirksamen Kinderliteratur der frühen 1970er. Noch heute sorgt die Kinoversion für Unbill, jedenfalls in den USA: Konservative politische Kommentatoren fürchten die Indoktrination ihres Nachwuchses. Die Holzverarbeitungsindustrie gab schon in den späten 1980ern ein Anti-„Lorax“-Kinderbuch in Auftrag: „The Truax“ feiert die Abholzung als elementar fürs Menschenglück.

Systemkritik ohne Moralisieren

Innerhalb von Dr. Seuss' Werk ist Systemkritik und gesellschaftspolitisches Bewusstsein nicht außergewöhnlich. Schon im Zweiten Weltkrieg zeichnete er verspielt-gallige Parodien auf die Faschisten und ihre Ideologie, seine Geschichten sind voller subversiver Elemente. In „Horton hört ein Hu!“ entdeckt ein Elefanten in einem Staubkorn einen winzigen Planeten: ein Plädoyer gegen den Isolationismus in den USA. „Yertle the Turtle“ kritisiert Autoritätshörigkeit als Keimzelle des Faschismus. „Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat“ prangert die Kommerzialisierung des Weihnachtsfests an. Bewusst habe er seine Geschichten aber nie mit Moral aufgeladen, erzählte Dr. Seuss.

Diese Einstellung stellt wohl jene Leichtigkeit und Vergnüglichkeit sicher, mit der etwa in „Der Lorax“ an der Essenz der kapitalistischen Gesellschaft gerüttelt wird. Eine Herde willensschwacher Konsumzombies, ein Unternehmer, der Luft in Flaschen verkaufen will, eine Stadt inmitten zerstörter Umwelt: klingt nach apokalyptischer Vision, ist aber eine familienfreundliche Animationskomödie. Umgesetzt hat sie das französische Computeranimationsunternehmen MacGuff, das schon ein Musikvideo von David Guetta animierte und mit dem Animationsfilmmeister Michel Ocelot arbeitete.

Nach „Ich – Einfach unverbesserlich“ ist „Der Lorax“ die zweite internationale Produktion des Studios, dessen Animationsabteilung von Universal aufgekauft wurde. Geblieben ist ein sehr europäisches Grundverständnis für die schrägen, expressionistischen Winkel und Perspektiven der Seuss-Illustrationen, gekoppelt mit US-Unterhaltungswut und wunderbarer Stimmtalentarbeit: Danny DeVito spricht den ebenfalls untersetzten Lorax, Zac Efron leiht dem verliebten Jungen Ted seine Stimme. Allen die Schau stiehlt wieder einmal Betty White, die als Teds Großmutter mystische Demenz verstrahlt. Spätestens nach „Der Lorax“ sollte der Name Dr. Seuss auch hierzulande Eingang in die Kinderzimmer und -hirne finden. Es wäre eine Investition in die Zukunft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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