Psychothriller: Das Böse unter dem Bett

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Mit „Sleep Tight“ über einen psychopathischen Concierge legt der Horrorspezialist Jaume Balagueró, ein Meisterwerk des europäischen Genrekinos, aus Täterperspektive vor.

César ist ein unauffälliger Mann. Als Concierge eines großen alten Mietshauses in Barcelona erfüllt er seinen Dienst mit einem Pflichtbewusstsein und einer Höflichkeit, die an Unterwürfigkeit grenzt. Der perfekte Bedienstete, sollte man meinen. Aber César ist auch ein unglücklicher Mann: Am Anfang des Films „Sleep Tight“ steht er an der Kante des Hausdachs, bereit, einen Schritt nach vor zu tun. „Ich war niemals glücklich“, bekennt seine Erzählerstimme, „vielleicht bin ich ohne die Fähigkeit dazu geboren.“ Doch César ist auch ein psychopathischer Mann: Etwas kann ihn glücklich machen, ist ihm klar geworden. Das Unglück der anderen.

Luis Tosar, ein Charakterkopf des spanischen Kinos, auf den auch schon US-Regisseure wie Michael Mann (in „Miami Vice“) oder Jim Jarmusch (in „The Limits of Control“) zurückgegriffen haben, spielt César mit unauffälliger Ingeniosität und beklemmender Intensität: ein stattlicher, nach außen freundlicher Mann, der das Höllenfeuer das Hasses im Herzen trägt. Es entzündet sich vor allem an der jungen Mieterin Clara (Marta Etura), deren vertrauensvolle Fröhlichkeit César jeden Morgen geradezu einen Stich in der Seele versetzt. Er beschließt, sich bitter zu rächen. Unter dem Schutzmantel der Unauffälligkeit – dank seines Jobs hat César Schlüssel für alle Apartments – beginnt er einen gemeinen, geduldigen Zerstörungsfeldzug.

Er tauscht den Inhalt ihrer Schminkdosen gegen Substanzen aus, die Hautausschlag hervorrufen oder sorgt für eine Kakerlakenplage in Claras Apartment. Und nachts, wenn sie heimkommt, liegt er schon geduldig unter ihrem Bett und wartet darauf, dass sie einschläft. Mit einem Schuss Äther vertieft er ihren Schlaf. Dann gehört sie ihm.

Propere Oberfläche

Regisseur Jaume Balagueró ist einer der herausragenden Filmemacher des europäischen Genrekinos: Seit seinem Debüt „Nameless“ (1999) hat er sich fast ausnahmslos dem Unheimlichen verschrieben, und sein Faible für den Genius Loci ist besonders ausgeprägt. Ob Anna Paquin im düsteren neuen Landhaus in Balaguerós „Darkness“ (2002), ob Calista Flockhart im Geisterhospital seines „Fragile“ (2005) oder die TV-Journalistin, die im Welterfolg „[Rec]“ (2007) im unter Quarantäne gestellten Zombie-Bau um ihr Leben rennt: Die Protagonistinnen von Balaguerós Filmen werden mit einem Bösen konfrontiert, das in wohl gewählter, atmosphärischer Architektur schon lange darauf zu warten scheint, sich den Weg zu bahnen.

Dass die Gebäudefassaden bei „Sleep Tight“ zunächst freundlicher wirken, entspricht freilich nur der subversiven Virtuosität des Films: Auch in César steckt das Monstrum unter einer properen Oberfläche und die Oberflächlichkeit der Bewohner, die César unbewusst herablassend wie einen Teil der Foyereinrichtung behandeln, gibt der Stoßrichtung von Balaguerós heimtückischem Spiel eine soziale Dimension. Denn „Sleep Tight“ ist ein Meisterwerk der Genrekonstruktion und zeigt Balagueró noch einmal deutlich als einen der letzten Klassizisten des Horrorkinos. In „[Rec]“ und dessen Fortsetzung, beide von Balagueró gemeinsam mit seinem Kompagnon Paco Plaza gedreht, verbarg sich hinter den effektvoll ausgenutzten, zeitgemäßen Wackelkamera-Attacken ein Zugang, der um die Kraft und Wirkung der Genretraditionen weiß. In seinen Solo-Regiearbeiten setzt Balagueró aber ganz auf die schaurige Schönheit klassischer Inszenierung. Hier mit einem bösen Widerhaken.

Denn vom Eröffnungsmonolog an führt uns César wie als Identifikationsfigur durch den Film. Man kennt das Prinzip aus Krimis, wo etwa der Schurke eilig eine Schublade durchstöbert und man sich unwillkürlich dabei ertappt, dass man intensiv mit ihm bangt, dass er nicht ertappt werden möge. Dieses paradoxe Element der Zuschauer-identifikation führt Balagueró auf Spielfilmlänge aus und dekliniert es in allen Schattierungen zwischen satirischer Überspitzung und abgründiger Erkenntnis durch: Die voyeuristische Seite des Spannungskinos wird hier hintergründiger erforscht als in Michael Hanekes plumpen „Funny Games“ – zugleich lustvoll, pervers und zutiefst irritierend. Zur niederträchtigen Schlusspointe ruft sich César mit seinem perfidesten Coup ins Gedächtnis und Patti Page intoniert den beschwingten Burt-Bacharach-Song „Keep Me in Mind“. Nicht nur Carla, auch dem Zuschauer bleibt gar nichts anderes übrig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2012)

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