„Skyfall“: Ein Agent stirbt – und findet das ewige Leben

(c) Sony Pictures
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Der neue James Bond von Sam Mendes bietet eine aktuelle Geschichte, furiose Effekte, amüsante Zitate. Daniel Craig kämpft gegen das Alter, Javier Bardem brilliert als Bösewicht.

Der Protagonist stirbt bereits vor dem Vorspann: James Bond jagt in Istanbul einen Gangster, der eine Liste sämtlicher Undercover-Agenten auf einem Chip um den Hals trägt. Beim Gerangel der beiden auf einem Zug soll Bonds Kollegin auf Anweisung der Geheimdienstchefin „M“ schießen, sie trifft Bond. Ein Running Gag durchzieht „Skyfall“ von „American Beauty“-Regisseur Sam Mendes – und wirbt auch für den Film: Was ist Ihr Hobby? Wird 007 gefragt. Wiederauferstehung, sagt er.

Das wirkt mehrdeutig, denn die Dreharbeiten verzögerten sich durch die Beinahepleite von MGM: Der Löwe brüllt nicht mehr, hieß es. Doch Totgesagte leben länger, nicht nur im Agentenmilieu. 200 Millionen Dollar soll „Skyfall“ (Himmelssturz) gekostet haben, dafür wird alles geboten: knallharte Action, Feuerzauber, ein terroristischer Bösewicht, der die Welt mit Computer, Handy und Fernsteuerung in Atem hält und sogar einen Anschlag auf die Zentrale des britischen Geheimdienstes verübt.

Die Action-Konkurrenz ist groß und vielfältig – zwischen „Mission Impossible“, „Bourne“ und „Men in Black“. Die Bond-Serie, die mit der offiziellen 23. Folge heuer ihren 50. Geburtstag feiert, bewährt sich auch bei „Skyfall“ als Klassiker; wobei Jugendliche interessanterweise mehr für Sean Connery als für den blassen Daniel Craig schwärmen, der diesmal, dem Tod knapp entkommen, besonders derangiert wirkt. So sehr, dass ihm Mallory (Ralph Fiennes), Aufsichtsratspräsident des Geheimdienstes, empfiehlt aufzuhören. Auch „M“ (Judi Dench) steht auf der Abschussliste. Sie soll freiwillig in Pension gehen, wogegen sie sich mit harschen Worten zur Wehr setzt: Sie denke nicht daran abzutreten, bevor die Probleme der Organisation gelöst sind.

Fragile Helden im Kampf gegen den Terror

Vor einem Untersuchungsausschuss in Westminster, wo sie ihre Methoden legitimieren muss, verliest „M“ ein Gedicht ihres verstorbenen Gatten und spricht das Credo von „Skyfall“ und der heutigen Geheimdienstarbeit an: Man kämpft nicht mehr gegen Staaten und Nationen, sondern gegen Unberechenbare im Schatten. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber auch wahr.

Der von Bond dingfest gemachte Cyber-Terrorist Raoul Silva (Javier Bardem) ist erneut entkommen. Der Ex-Agent wurde von „M“ wie Bond im Stich gelassen, bei einem Selbstmordversuch mit Gift im Zahn verlor Silva sein halbes Gesicht. Er will sich rächen. Bond und „M“, die Ruheständler wider Willen, flüchten nach Schottland, wo 007 auf dem Landgut „Skyfall“ aufwuchs. Das Haus-Faktotum (Albert Finney), das ihn nach dem frühen Tod der Eltern aufzog, ist noch da, rüstig, und freut sich. XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX*

James Bland (James Farblos) wurde der Brite Daniel Craig anfangs genannt. Er hat seinen Kanon gefunden: Dieser Bond ist zwar Schotte wie Sean Connery, der immer für die Unabhängigkeit seiner Heimat kämpfte – über die 2014 abgestimmt werden soll –, aber britischer Patriot. Bond Craig trinkt lieber Scotch als Martini Cocktail, nimmt Pillen und begegnet dem weiblichen Geschlecht mit der Skepsis des Geschädigten, im Ernstfall agiert er ritterlich. Der virile Connery durfte noch Macho sein, der elegante Roger Moore kokettierte bereits damit. Die heutigen Bond-Damen – Naomie Harris als entzückende Eve, Bérenice Marlohe als rätselhafter Lockvogel Sévérine, sieht Caterine Zeta-Jones ähnlich – kämpfen mit Rollen- und Zielkonflikten: Soft oder hart? Mädchenhaft anschmiegsame Geliebte, tüchtige Gefährtin, Karrierefrau, alles auf einmal? Aber auch 007 selbst plagt die Sinnkrise.

Ist Bond, kein ganzer Frauenheld mehr, ein Held reiferer Damen, die nicht mehr blutjung-ahnungslos („For your eyes only“), aber noch immer Romantikerinnen sind? Weil die Figur so virtuos auf widersprüchlichen Eigenschaften des Mannes balanciert?

Am Ende wird es grimmig. XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XXXXNeue, smarte Karriere-Surfer lösen die kantigen Urgesteine ab. Auch da ist Bond nah am Zeitgeist. 

Der Film zitiert mit Lust. Quartiermeister Q (Ben Whishaw) macht sich über explodierende Füllfedern lustig. Der hübscheste Gag: Bond und „M“ fahren in Connerys Aston Martin („Goldfinger“ 1964) nach Schottland. 007 verbindet die Generationen und wird wohl noch lange nicht zum alten Eisen geworfen (ab 1. November im Kino).

* Nach einer Bitte von Sony Pictures und vielen Lesern hat "Die Presse" sich dazu entschlossen, jene Textstellen, in denen das Ende von "Skyfall" verraten wird, in der Onlineausgabe zu schwärzen.

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Die Produktion von „Skyfall“

Wichtige Filmszenen, die wohl eher zufällig an das Wien des „Dritten Mann“ erinnern, spielen im unterirdischen London, in den sogenannten Churchill-Bunkern aus dem II. Weltkrieg und in der Tube (U-Bahn). Eine der spektakulärsten Szenen dort ist ein von Cyber-Terrorist Silva ausgelöster Anschlag auf Bond mit einer U-Bahn-Garnitur. Die 007 Stage in den historischen Pinewood Studios in Buckinghamshire außerhalb von London diente als Drehohrt. Für den Crash baute die Crew zwei komplette Zugwagons, von denen jeder sieben Tonnen wog. Zehn von Fernbedienungen gesteuerte Kameras wurden strategisch im Inneren der Halle aufgestellt, um die Szene aus verschiedenen Winkeln festzuhalten.

Bond-Dreharbeiten fanden in Istanbul, Shanghai und dem Kasino-Paradies Macao statt. An vielen verschiedenen Orten wurde in London gedreht, darunter in den Old Vic Tunnels, in der Great Suffolk Street; der Eingang zum Broadgate Tower, Londons vierthöchstes Gebäude, wurde neu dekoriert und ausgeleuchtet, um als Wolkenkratzer in Shanghai zu dienen. Auch Bonds Hotelpool steht in London: Es ist der Virgin Active Pool in der Canary Wharf. In der National Portrait Gallery treffen einander Q und Bond vor einem sinkenden Schiff von William Turner, das eine Anspielung auf Bonds angeschlagenen Zustand in „Skyfall“ ist. Das Gemälde trägt den Titel: „The Fighting Téméraire tugged to her last Berth to be broken up“ (1838) Weitere Londoner Drehorte: Charing Cross, Parliament Square, Whitehall, Trinity College, Old Royal Navy College.

Im vorletzten James-Bond-Roman, „You Only Live Twice“ berichtet Ian Fleming über die Familie von 007, dass Bonds Vater aus Glencoe in Schottland kam. Glencoe ist eine der schönsten und typischsten Landschaften von Schottland, die Berge bilden die Kulissen für den letzten Teil von „Skyfall“. Die Bond-Familie war offenbar evangelisch, Außenseiter im katholischen Schottland, ein Tunnel bietet einen unterirdischen Fluchtweg aus ihrem Landsitz, durch ihn flüchten auch Bond, „M“ und Kincade, Bonds Ersatzvater nach dem frühen Tod seiner Eltern.

Für die Verfolgungsjagd am Beginn von „Skyfall“ kam eine Flotte von zwölf Land Rover Defenders und 16 Audi A5s zum Einsatz, die extra für die Stunt-Szenen ausgestattet waren. Gedreht wurde die Verfolgungsjagd in Adana, einem landwirtschaftlichen Zentrum nahe der östlichen Grenze der Türkei: Einhundert Fahrzeuge nahmen daran teil. Der Höhepunkt der Stuntsequenz spielt sich auf der Varda Brücke ab, eine Stunde außerhalb von Adana. Die Brücke wurde 1912 errichtet, sie ist 190 Meter lang und 100 Meter hoch. Eve schießt, sie trifft versehentlich nicht den Gangster, sondern Bond, der vom Zug geschleudert wird und in den Fluss stürzt. Bonds Stuntdouble Andy Lister führte den Stunt durch. Ein Kran wurde auf einem Zug befestigt, wo eine Sicherheitsleine angebracht wurde. Lister reagiert auf den Schuss, in dem er sich nach hinten in die Tiefe fallen lässt.

Fünf Oscars gewann der Film „American Beauty“, eine verquere doppelsinnige US-Mittelstandssatire des Briten und Bond-Regisseurs Sam Mendes. Brite ist auch Daniel Craig, es ist sein dritter Bond-Film. Der Spanier Javier Bardem erhielt den Oscar als bester Nebendarsteller in „No Country for Old Men“ von Joel und Ethan Coen: Bardem spielte den soziopathischen Killer Anton Chigurgh, insgesamt erhielt die Verfilmung des Romans von Cormac McCarthy vier Oscars.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2012)

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