Cannes: Auf Raubzug durch die Hollywood Hills

Director Sofia Coppola and cast members arrive on the red carpet for the screening of the film 'Jeune & Jolie' in competition during the 66th Cannes Film Festival in Cannes
Director Sofia Coppola and cast members arrive on the red carpet for the screening of the film 'Jeune & Jolie' in competition during the 66th Cannes Film Festival in CannesREUTERS
  • Drucken

Surreale Zeitbilder nach wahren Geschichten: Sofia Coppolas „The Bling Ring“ erzählt von kriminellen Hollywood-Teenagern, Jia Zhangkes „A Touch of Sin“ von Chinas Gesellschaft im Wandel.

Es gibt Dinge, die könne man sich nicht ausdenken, sagt Sofia Coppola bei ihrer Pressekonferenz in Cannes: „Eines der Mädchen hat sich mehr als alles andere gewünscht, den Hund von Paris Hilton zu sehen!“ Das Mädchen, von dem die Regisseurin redet, gehörte zu einer Gruppe Teenager, die in den Hollywood Hills auf Raubzug gingen und die Villen von Stars wie Hilton, Lindsay Lohan oder Orlando Bloom ausräumten, während die auf Reisen waren. Die Medien nannten die Gang „The Bling Ring“, und so heißt auch Coppolas Film, mit dem der Zweitbewerb „Un certain regard“ eröffnet wurde.

Die Tochter von Hollywood-Größe Francis Ford Coppola hat als Regisseurin schnell ihr eigenes Territorium abgesteckt: Ob in Tokio wie in „Lost in Translation“ oder in Hollywood wie zuletzt im Venedig-Sieger „Somewhere“ und nun in „The Bling Ring“ beschäftigt sie sich in meist ätherisch getönten Filmen mit dem Ennui im Wohlstand, meist vor Showbiz-Hintergrund. War es in „Somewhere“ ein Starschauspieler, den der Luxus nicht über die Leere hinwegtrösten konnte, so versuchen diesmal Teenager die Leere zu kompensieren, indem sie Markenartikel und Luxusgüter bei den Stars ausräumen.

Auch bei Stars: Schlüssel unter Fußmatte!

Die Namen der Teenager-Delinquenten sind geändert und die Präsenz von Emma Watson, der Hermione Granger aus den „Harry Potter“-Filmen, als Mitglied der Gang, sorgt für zusätzliche Würze: Aber in Coppolas halbverträumtem Stil kommt der Stoff weniger wie aus den Schlagzeilen geholte Kolportage daher denn als nicht immer sichere Mischung aus schmuckem Zeitbild, journalistischer Investigation und surrealer Komödie. Letzteres verdankt sich offenbar schlicht den Fakten: Beim Surfen auf Celebrity-Webseiten stoßen die starfixierten Teens auf Berichte über die Galatermine ihrer Lieblingsstars in anderen Städten. Eine Google-Suche liefert die Adresse – und beim Besuch der leerstehenden Villa findet sich der Ersatzschlüssel unter der Fußmatte!

Tatsächlich wirkt ein Rundgang durch Paris Hiltons Wohnung – mit Dutzenden gerahmten Magazin-Titelblättern von ihr selbst und einem Schuh- und Kleiderkabinett, in dem man sich verlaufen könnte – absurder als alle extravaganten Showeinlagen, die Baz Luhrmann in seinem Cannes-Eröffnungsfilm „Der große Gatsby“ bombastisch beschwor. Das Leben im Luxus ist in den ersten Tagen ein Leitthema der US-Produktionen an der Croisette: Coppola inszeniert kleine Materialismus-Offenbarungen ihrer ziellosen Teens, etwa wenn sich die Anführerin der Gruppe bei einem Einbruch teures Parfum auf den Hals spritzt, bis er schimmert. Andererseits führt das schnelle Geld durch Hehlerei via Koks-Exzess in Verkehrsunfälle, obwohl die Jugendlichen nach ihrer Verhaftung durchwegs behaupten, nur die hehrsten Ziele zu haben – Wohlfahrtsorganisationen leiten oder sonst einen „Job, von dem man spricht“.

Ein wenig fühlt man sich an die Yuppie-Zeitgeistromane der 1980er erinnert (bevor Bret Easton Ellis mit „American Psycho“ das Genre in den psychopathischen Ruin trieb): Coppolas Blick ist abwechselnd distanziert und empathisch, melancholisch und satirisch. Wenn eines der „Bling Ring“-Mädchen reumütig in einer Talkshow auftritt, kann sie bei der Erwähnung von Lohans Namen gar nicht anders, als spontan gegenzufragen: „Und was hat Lindsay gesagt?“ Der Raubzug bei Paris Hilton endet gar damit, dass die übereifrige Rädelsführerin davon abgehalten werden muss, deren Hund mitzunehmen – ein besseres Schicksal als für den Hund im mexikanischen Wettbewerbsbeitrag „Heli“ von Amat Escalante, dem im Vorübergehen der Hals umgedreht wird.

Das ist die andere Seite von Cannes: Bilder aus den Zonen, wo die Schere zwischen Arm und Reich brutal auseinanderklafft. Escalantes bitteres wie zynisches Bild des Drogenkriegs in Mexiko erschöpft sich in vergleichbaren Gewaltakten und Demütigungen, aber der Chinese Jia Zhangke hat mit „A Touch of Sin“ den ersten großen Film des heurigen Festivals vorgelegt. Vier – kaum verzahnte – Geschichten nach wahren Todesfällen liefern ein vielschichtiges Panorama der chinesischen Gesellschaft in einem Umbruch, der so rasch vonstatten geht, dass die Menschen von der Entwicklung überrollt werden. Der Regisseur, durch hochpräzise Kunstfilme wie „Platform“ oder „Still Life“ zum vielfach prämierten Chronisten seines Landes geworden, überrascht diesmal durch kräftige Genre-Einschübe: Die erste Episode erzählt etwa geradlinig den Amoklauf eines rebellischen Einzelgängers nach dem Ausverkauf an die korrupten Mächtigen in seinem Heimatort.

Nicht nur im Titel – frei nach King Hus Martial-Arts-Meisterwerk „A Touch of Zen“ aus den 1970ern – schwingt dabei historisches Bewusstsein mit, das die auch hier manchmal surreal anmutenden Erzählungen aus der Wirklichkeit verankert: Jia Zhangkes vielschichtiges und immer wieder verblüffendes Zeitbild zieht eine keineswegs optimistische Bilanz, aber im Gegensatz zu Escalante weiß er, dass Resignation keine Lösung ist. Zu den wichtigsten Regisseuren der Gegenwart hat sich der Chinese hochgearbeitet, weil er etwas erzählen kann, was schwer zu fassen ist: Wandel.

Film und Realität

Paris Hiltons Villa war Ort der Dreharbeiten zu Coppolas neuem Film. Zur Premiere in Cannes kam die 32-Jährige prompt zu spät – der Strom war ausgefallen, als sie gerade dabei war, sich die Haare einzudrehen. Der Film erzählt davon, wie eine Gruppe Jugendlicher in Häuser von Prominenten einbricht. In Cannes selbst wurde aus einem Hotelzimmer Schmuck im Wert von mehr als einer Million Dollar gestohlen. Er sollte an Stars verliehen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.