„Pain & Gain“: Apokalypse des amerikanischen Traums

Ein Deppentrio in typischer Heldenpose: Anthony Mackie, Mark Wahlberg und Dwayne Johnson (v. l.) marschieren vom Schauplatz des Verbrechens.
Ein Deppentrio in typischer Heldenpose: Anthony Mackie, Mark Wahlberg und Dwayne Johnson (v. l.) marschieren vom Schauplatz des Verbrechens. (c) UPI
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Michael Bays unfassbar vulgäre Actionkomödie über drei blöde Bodybuilder auf Raubzug ist so etwas wie der Endpunkt des Blockbuster-Kinos. Oder doch eine Satire? Jedenfalls entsetzlich unterhaltsam. Jetzt im Kino.

„The pure products of America go crazy“, lautet ein viel zitierter Satz des US-Lyrikers William Carlos Williams. Begreift man Hollywood als die Traumfabrik der USA, ist tatsächlich kein reineres Produkt denkbar als Michael Bays entsetzlich unterhaltsamer Film „Pain & Gain“. Ihn verrückt zu nennen, wäre aber eine Untertreibung – was nur im Sinne des Machers sein kann. Denn Michael Bay kennt nur Superlative, doch die Höchststufe allein ist nicht genug: Sie muss auch noch beworben sein, im exklusiven Tonfall der absoluten Hysterie.

Bay, in der Werbebranche gestählt, ist der Inbegriff des heutigen Blockbuster-Regisseurs: glatt polierte Bilder, galoppierende Schnittfolgen, gleitende Kamera, große, größere, noch größere und dann die größten Explosionen. Wie Trailer, nur nicht zweieinhalb Minuten, sondern zweieinhalb Stunden lang. Geschichtenerzählen interessiert dabei nicht (mehr), die Handlung ist notdürftiger Klebstoff für die Sensationen, die es anzupreisen gilt, als Bubenfantasien-Fusion aus Verkaufs-, Rekrutierungs- und (ob der Zielgruppe meist jugendfreier) Erotikshow.

Gesponsert von der Spielzeugfirma Hasbro hat Bay in „Transformers“ Riesenroboter vergöttert, das Militär gleich dazu, offiziell unterstützt von der U.S. Army. Dumpfer Patriotismus ist spätestens seit „Pearl Harbor“ ein Bay-Prinzip, so wie uferlose Action und nackte, pralle Frauenhintern im Dutzend. Am alleramerikanischsten ist Bay nämlich im Ausleben einer spezifischen Vulgarität: Megamacho-Gehabe trifft auf lustvoll politisch unkorrekte Provokation als gut gelaunte Feierstunden sexistischer, rassistischer und sonstiger Klischees. Die Actionkomödie „Bad Boys 2“ schickte seine fröhlich metzelnden Helden folgerichtig bis vor die Tore von Guantanamo Bay: Der „Ugly American“ zu sein ist nicht genug für Bay, sondern etwas, was einen mit Stolz erfüllt. Loud and proud!

Ein „kleines“ Herzensprojekt für Bay

Mit „Pain & Gain“ hat Bay nun ein lang gehegtes Traumprojekt umgesetzt, auch wenn es viele als Albtraumprojekt deuten würden. „Unglücklicherweise eine wahre Geschichte“, heißt es eingangs mit pflichtschuldiger Ironie: Der Film basiert auf einem unglaublichen Fall, der sich 1994 in Miami zutrug. Ein Trio blöder Bodybuilder entführte einen Geschäftsmann und folterte ihn, bis er seinen ganzen Besitz überschrieb. Trotz monumentaler Inkompetenz war der Plan von Erfolg gekrönt – jedenfalls vorläufig. Dann kam die Gier nach mehr. Mithin ein Sujet, das Bay entspricht: Die „Transformers“-Fortsetzungen hat er gedreht, damit das Studio ihm dieses „kleine“ Herzensprojekt finanziert. Seine 26 Millionen Dollar sind tatsächlich nur ein Bruchteil sonstiger Bay-Budgets.
Vielleicht weil ausnahmsweise keine Großstadt in Schutt und Asche gelegt wird, seit „Armageddon“ ein Bay-Markenzeichen.

Sonst ist „Pain & Gain“ aber wie aus einem Bay-Guss, nur die abgründige Direktheit irritiert: Diesmal zelebriert Bay nicht weniger als die Apokalypse des amerikanischen Traums. Ist „Pain & Gain“ also eine Satire, vielleicht gar eine wissende Selbstparodie? Hat ein Begriff wie Parodie in Bays Übertreibungskino überhaupt noch eine Bedeutung? Es ist jedenfalls die Apotheose der Bay-Vision als Actionkomödie.



Anabolikafilme wäre keine schlechte Umschreibung für Bays Exzesse. Hier hat er buchstäblich die entsprechenden Helden. Mark Wahlberg als Anführer der Anabolika-Gang preist aufgeblasene Kraftkörper als Schrein, geißelt Trainingsverweigerung als „unpatriotisch“ und hilft in bestem Bay-Stil, das Sun-Gym-Fitnessstudio zum „Muskel-Mekka“ zu machen: Gratismitgliedschaft für Stripperinnen, schon steigt der Besuch um 75 Prozent! Aber: „You need some money to go with the body.“ Der amerikanische Traum gibt ihm das Recht, dafür Rechtsbruch zu begehen. Schließlich wurde ihm zuvor im Motivationstraining eingebläut: „Don't be a don't-er! Do be a do-er!“

Wirkte solche Absurdität in früheren Bay-Filmen wie die zynische Übererfüllung kommerziellen Kalküls, so erreicht sie hier schizophrene Größe als Realsatire. Bei Bay gibt es nur zwei Modi – grotesk und heroisch. Hier sind sie nicht mehr zu trennen. Sein Gaunertrio ist von stupender Blödheit, alle anderen Figuren sind nicht besser: Tony Shalhoub spielt das Opfer als krasse Karikatur eines Juden, die Frauen sind willfährige Bimbos, von deren Hintern man Kokslinien zieht, und die Polizei unfähig. Ed Harris als Privatdetektiv mit Würde wirkt wie aus einem anderen Film, besonders wenn er am Ende kurz die „verschwendeten Menschenleben“ beklagt, nachdem „Pain & Gain“ zwei Stunden lang gar nicht genug von dieser Verschwendung hat bekommen können.

Die Unverfrorenheit dabei ist so ehrfurchtgebietend wie abstoßend: Bay lässt seine drei Deppen in typischer Heldenpose von einer mörderischen Explosion wegmarschieren und zu Verstümmelung scherzen. In der erstohlenen Villa organisieren sie dann „Neighbourhood Watch“. Sex ist eine Triebfeder, die zu kläglichen Gags mit verschmorten Dildos und Impotenz durch Steroide führt. Spiritualität ist tot, Geiz ist geil, Konsum ist King: Dwayne Johnson spielt mit großartigem Timing (und vielen Jesus-T-Shirts) den wiedergeborenen Christen der Gang, der zu Gott Kokain zurückfindet.

Die US-Flaggen wehen bis zuletzt

Mit „Spring Breakers“ und „The Bling Ring“ bildet „Pain & Gain“ ein Filmtrio, das Verbrechen in der Wohlstandsgesellschaft als perverse Schlussfolgerung des US-Erfolgsrezepts zeigt. Bay zeigt es obendrein als Endpunkt des Blockbuster-Erfolgsrezepts: monumental blöd oder eine monumentale Pokerface-Parodie über die Folgen der Blödheit? „Pain & Gain“ ist immer wieder von verstörender Klarheit und zugleich völlig konfus. Als gäbe es keine Widersprüche, wird zuletzt noch zu wehender US-Flagge eine nächste Chance trotz Todesurteil beschworen: „That's the American Dream.“

Zur Person

Michael (Benjamin) Bay wurde 1965 in Los Angeles geboren. Seine Karriere begann 1984 mit der Parodie auf eine Cola-Werbung. Bald drehte er echte Werbespots (u. a. für Levi's) und Musikvideos (Tina Turner, Aerosmith), 1995 debütierte er als Kinoregisseur mit „Bad Boys“. Es folgten „The Rock“, „Armageddon“ und zuletzt die „Transformers“-Filme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2013)

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