Film: Michael Kohlhaas, der edle Terrorist

Michael Kohlhaas, Kino, Mads Mikkelsen
Michael Kohlhaas, Kino, Mads Mikkelsen(C) Stadtkino
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Er wurde als Nazi und als 68er dargestellt, jetzt interpretiert ein Film Kleists berühmteste Figur als eine Art Selbstmordattentäter. Psychologen wiederum attestieren dem Gerechtigkeitsfanatiker „narzisstische Wut“.

Ein Mensch wird zum Selbstmordattentäter, weil er das Unrecht um sich herum nicht erträgt. Ein anderer bringt wegen eines Nachbarschaftsstreits einen Menschen um oder prozessiert sich verbissen um seine Existenz. Ob Terrorist, Prozesshansel oder – laut Psychologie – „Verbitterungsgestörter“: In jedem von ihnen könnte, klein oder groß, ein Kohlhaas stecken.

Jetzt reitet er wieder gegen die Obrigkeit, der Rosshändler, den Heinrich von Kleist „einen der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“ nannte: Der Film „Michael Kohlhaas“ von Arnaud des Pallières kommt heute in die Kinos.

Hans Kohlhase, dem Luther schrieb

Der „echte“ Kohlhaas hieß Hans Kohlhase und lebte im 16.Jahrhundert. Der Kaufmann galt als Musterbürger, bis ihm Untergebene eines Junkers zwei Pferde wegnahmen. Er stritt friedlich um sein Recht, als das nichts nutzte, mit Gewalt, bekriegte schließlich den sächsischen Kurfürsten. Sogar Martin Luther befasste sich mit ihm. Am Ende wurde Kohlhase gerädert; man hatte ihm milde das Köpfen angeboten, er weigerte sich, wollte nicht Gnade, nur Gerechtigkeit. Für Generationen danach galt er als Volksheld; aber heute wäre er längst vergessen, hätte nicht eine alte Chronik Kleist zu seiner berühmtesten Figur inspiriert. Diese hat seitdem Schriftsteller, Politiker, Juristen und Revolutionäre fasziniert, neuerdings auch Psychiater.

Was reitet diesen Rosshändler, wegen zweier Pferde sein Familienleben aufzugeben, sein Haus zu verkaufen, einen Krieg anzuzetteln, sein Leben zu riskieren und am Ende (bei Kleist) heiter die Todesstrafe auf sich zu nehmen, weil er seine Pferde wiederhat? Ist er ein Narzisst, wie Psychologen sagen, ein Musterbeispiel für „Störungen der Kränkungsverarbeitung“? Oder ein Robin Hood, ein Märtyrer der Gerechtigkeit?

Im Film „Michael Kohlhaas“ ist er ein edler Terrorist. „Die politische Verzweiflung von Kohlhaas hat etwas mit der politischen Verzweiflung von Männern und Frauen zu tun, die allein gegen die Welt kämpfen und dabei ihr Leben lassen“, sagte der Regisseur.

Der Däne Mads Mikkelsen, Bösewicht im James-Bond-Film „Casino Royale“, spielt Kohlhaas denkmalartig als schweigsamen Bewohner einer vagen europäischen Frühzeit. Wie bei Kleist treibt ihn nicht zuletzt der Verlust seiner Frau an – sie starb beim Versuch, den Landesherrn um Hilfe zu bitten. „Hochwürdiger Herr“, sagt er in der Novelle zu Luther. „Es hat mich meine Frau gekostet; Kohlhaas will der Welt zeigen, dass sie in keinem ungerechten Handel umgekommen ist.“

So unspannend, wie Kleist spannend ist

Mithilfe einer auf dunkle, weite Landschaften und Kohlhaas' unbewegliches Gesicht konzentrierten Ästhetik der Kargheit verengt der Film die Geschichte auf das ahistorisch Exemplarische an der Geschichte, den inneren Konflikt. Er ist dabei allerdings so langatmig und unspannend wie Kleists bunte Novelle spannend. Nur in wenigen bewegenden Momenten spiegelt Mikkelsens Miene die innere Zerrissenheit, das Leiden und die Größe seines Verzichts; etwa beim Abschied von seiner Tochter, vom Leben.

Kohlhaas als Terrorist, die Deutung liegt nahe. Der historische Kohlhase agierte im Kontext der Bauernaufstände, Kleist selbst schrieb die Novelle als Sympathisant der spanischen Aufstände gegen Napoleon, als Europa das Recht auf politischen Widerstand diskutierte. Später sahen Nazis in Kohlhaas ein Vorbild gegen die Weimarer Republik, bei Brecht erschien er als Antifaschist. Volker Schlöndorff zeichnete ihn in seinem „Kohlhaas“-Film als eine Art 68er-Rebell, und in E.L. Doctorows Roman „Ragtime“ wurde aus ihm ein Afroamerikaner „Coulhouse“, der gegen die Rassendiskriminierung kämpft.

Diagnose „Verbitterungsstörung“

Aber Kleists Kohlhaas hat im unbedingten Rechthabenwollen auch etwas „Verrücktes“. Psychologen sehen im Autor einen „Pionier der Erforschung menschlicher Kränkbarkeit“ und stellen Kohlhaas (manchmal auch gleich Kleist) Diagnosen wie „Verbitterungsstörung“ oder „narzisstische Wut“.

In Ursula Krechels Roman „Landgericht“, der den Deutschen Buchpreis erhielt und mit einem Motto aus „Michael Kohlhaas“ beginnt, ist diese von Kleist angelegte Zwiespältigkeit im Juden Richard Kornitzer eingefangen; er kämpft nach dem Krieg verbissen um Wiedergutmachung und richtet damit sich und seine Familie zugrunde. „Landgericht“ hat mehr über Kohlhaas zu sagen als der Film Arnaud des Pallières'. Aber am meisten sagt noch immer das Original.

KOHLHAAS: RECHT UND GEWALT

Kohlhaas und Luther treten in Kleists Novelle (1810) mit gegensätzlichen Rechtsansichten auf. Luther verwirft das Widerstandsrecht des Einzelnen. Kohlhaas beruft sich dagegen wie Rosseau auf das Naturrecht und behauptet das Recht, sich einer ungerechten Staatsgewalt zu widersetzen. Die Novelle spiegelt aber auch die Position von Kleists Freund, Staatsphilosoph Adam Müller: Das führe zu Gräueln wie jenen der Französischen Revolution. Nur das positive Recht dürfe gelten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2013)

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