„Lunchbox“: Eine kulinarische Indien-Romanze

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Köstlichkeiten und Briefe als Herzensbrecher: Ritesh Batras lukullische Liebesgeschichte ist heuer zum Festival-Hit geworden. Ab Freitag läuft sie auch im Kino.

Liebe geht durch den Magen: Das Sprichwort, an dem die Geschichte des charmanten indischen Debütfilms „Lunchbox“ aufgehängt ist, existiert international in leichten Variationen. Für das spezielle indische Flair sorgt in dem Fall nicht nur ein höchst appetitlicher Querschnitt nationaler Küche, sondern vor allem eine regionale Besonderheit der Hafenstadt Mumbai, durch die es erst zur schicksalshaften Fügung in dieser so zarten wie lukullischen Liebesgeschichte kommt: Die sogenannten Dabbawallas sind Essenszusteller, die – meist per Fahrrad – gegen elf Uhr für Büroangestellte von deren Zuhause oder eigenen Küchen die mehrstöckige Dabba (eben: „Lunchbox“) mit dem Mittagessen abholen.

Die Wahrscheinlichkeit der Dabba-Fehlzustellung sei nur eins zu sechs Millionen, gibt Regisseur Ritesh Batra zu, der bei einem unvollendeten Dokumentarfilm über Dabbawallas den Aufhänger für sein Spielfilmdebüt fand, das heuer zum publikumsfreundlichen Festival-Hit wurde: Die Attraktivität von „Lunchbox“ verdankt sich auch Batras ästhetischem Äquivalent von Fusion Cooking – die appetitliche Verbindung von Elementen des indischen und des internationalen Kinos.

Diesem Großstadtmärchen gibt zwar das Menschenchaos der Metropole Mumbai den charakteristischen Hintergrund, die Konstellation ist aber eigentlich universal. Für speziellen Reiz sorgt ein fast anachronistischer Kunstgriff, der geschickt den Kontrast zu realistischen Bildern überfüllter Straßen und Züge in der modernen Großstadt liefert: Das potenzielle Liebespaar kommuniziert durch Briefe, was auch zu Batras angenehm erwachsenem Zugang zur Romanze passt.

Internationaler Star: Irrfan Khan

Ausgangspunkt ist der Versuch der vernachlässigten und sich wie eingesperrt fühlenden Hausfrau und Mutter Ila (Nimrat Kaur), das Herz ihres Mannes zurückzugewinnen: Unter Anleitung einer gesprächigen Nachbarin bereitet sie ein besonders raffiniertes Gericht zu, das der Dabbawalla aber auf den falschen Schreibtisch stellt. Es landet beim kurz vor der Pensionierung stehenden und als so verlässlich wie altmodisch geltenden Versicherungsbuchhalter Saajan (der exzellente Charakterdarsteller Irrfan Khan, bekannt aus „Life of Pi“ oder „Slumdog Millionaire“).

Weil alle fünf Stockwerke der Dabba säuberlich ausgeputzt zurückkommen, glaubt Ila, dass ihr Plan ein Erfolg war: Erst mit der Heimkunft ihres gestressten Gatten ahnt sie den Irrtum. Am nächsten Tag legt sie einem weiteren köstlichen Mahl eine Notiz bei, und die Lunchbox kommt mit einer Nachricht in einer fremden Handschrift zurück. So beginnt ein Briefwechsel zweier Einsamer – Saajan ist verwitwet – über ihre Sorgen und Lebensgeschichten. Als die Botschaften immer länger und persönlicher werden, keimt der Gedanke eines anderen, gemeinsamen Lebens. Batras willkommen zurückhaltende Inszenierung entspricht dem leise wehmütigen Ton der Beziehung, zwei Nebenfiguren liefern Komödien-Kontrapunkte: Ilas unsichtbare Nachbarin sowie Saajans Nachfolger, dessen Übereifer zuerst für Konfrontationen sorgt.

Als internationale Koproduktion mit europäischem Anteil kommt „Lunchbox“ nun auch in die Kinos, was für asiatische Filme (auch wegen der EU-Fördersituation) immer schwieriger wird, selbst für so einen „Feelgood“-Film mit melancholischem Einschlag. Als im besten Sinne altmodische Liebesgeschichte erinnert Batras Debüt an schöne, überlegene Asien-Romanzen wie den koreanischen Film „The Contact“, von dem man hierzulande nur ein misslungenes deutsches Remake („Frau2 sucht Happy End“) sehen durfte. Auch bei „Lunchbox“ kann man sich vorstellen, dass ein Remake verlockend erscheint. Insofern sollte man jetzt lieber die Chance nutzen, das Original zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2013)

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