"Only Lovers Left Alive": Die unsterbliche Hipster-Sicht

(c) Polyfilm (Gordon A Timpen)
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Am 25.12. startet Jim Jarmuschs Vampirfilm "Only Lovers Left Alive" die weltmüden Unsterblichen als letzte Hipster – ironische Kulturkritik zur Gegenwart oder ein Auslaufmodell? Rückblick auf eine Regiekarriere.

Die Nadel fällt auf den Plattenspieler, das Knistern des guten alten Vinyls begleitet das Wirbeln des Vorspanns: Eine Single dreht sich auf dem Plattenspieler, die Kamera dreht sich mit. Der schicke Retro-Dreh, mit dem Jim Jarmusch seinen Film „Only Lovers Left Alive“ eröffnet, stimmt auf eine – jedenfalls konzeptuell – schlüssige Pointe ein. Die weltmüden Hipster, von denen er erzählt, haben nämlich einen guten Grund für ihre Haltung: Sie heißen nicht nur wie die ersten Menschen, sie sind tatsächlich unsterblich.

Alles schon gesehen, alles schon erlebt: Das ist das Schicksal des Vampir-Ehepaars Adam und Eve (mit Tom Hiddleston und Tilda Swinton fast schon zu perfekt besetzt). Nach Jahrhunderten – „unsere dritte Hochzeit“, sagt sie einmal mit Blick auf ein Foto von 1868 – leben sie dieser Tage getrennt. Adam wohnt als zurückgezogener Rockstar à la Scott Walker in Detroit, wo er in seiner verfallenden Villa depressiven Stimmungen frönt und entsprechend untergangsselige Instrumentalmusik macht, die niemand je zu hören braucht. Seine einzigen Kontakte zur Außenwelt sind ein Arzt, der ihn mit Blut versorgt, und ein Fan (Anton Yelchin als archetypischer „Dude“). Selbst dessen Beschaffung besonderer alter Gitarren tröstet Adam kaum noch.


Der wahre Shakespeare.
So entschließt sich Eve nach einem Videochat zum Besuch bei ihrem Gatten. Sie hat sich nach Manier des Schriftstellers Paul Bowles in Tanger ein Refugium eingerichtet, ihre Blutversorgung besorgt ein alter Freund (John Hurt) – der sich als Christopher Marlowe und obendrein als wahrer Autor der Stücke Shakespeares entpuppt. „Ich wünschte, ich hätte Adam getroffen, bevor ich ,Hamlet‘ schrieb“, sinniert er, „er hätte ein großartiges Modell abgegeben.“ Einige Nachtflüge später – gebucht unter falschen, literarisch auch sehr prestigeträchtigen Namen wie Daisy Buchanan (Adam reist später als Stephen Dedalus) – kommt Eve in Detroit an, wo das Schwelgen in Erinnerungen entsprechend weitergeht, während man in eleganten Gläsern an der bevorzugten Blutgruppe (0-) nippt. „Byron war ein pompöser Langweiler“, weiß Adam, „aber Mary Wollencraft war köstlich.“

Der befürchtete Besuch von Eves störend amüsierwütiger Schwester Ava (Mia Wasikowska) – ihr letzter Auftritt 1926 in Paris ist dem Paar noch in unguter Erinnerung – sorgt zur zweiten Filmhälfte gar für etwas Handlung, wie üblich bei Jarmusch ist diese aber vernachlässigbar gegenüber der Haltung. Als „attitude“: „Only Lovers Left Alive“ ist da eine Absage an das kulturelle Banausentum der heutigen Welt. Nicht einmal mehr beißen mögen Jarmuschs coole Vampirveteranen die „Zombies“, wie sie die Menschen nur abfällig nennen: Allein ausgewählte Blutkonserven garantieren noch unverseuchten Konsum, aber in einer der doppelt (selbst-)ironischen Spitzen, mit denen Jarmusch seine Kulturkritik garniert, lässt er Eve kontemporär überheblich sagen, direktes Blutsaugen sei „so 15. Jahrhundert...“.


„Keine Moden, nur der Stil“.
Lustigerweise fügt sich Jarmuschs Film in gleich zwei aktuelle Moden, was seinem Grundbekenntnis „Moden interessieren mich nicht, nur der Stil“ zu widersprechen scheint. Zum einen legt er mitten im „Twilight“-Hype einen Vampirfilm vor, der aber trotz eines prinzipiell romantischen Ansatzes herzlich wenig mit dem Teenager-Schmachten nach Stephenie Meyer zu tun hat – und auch sonst dem Genre ostentativ nichts hinzufügen will. Die durch das Rockermilieu noch betonte Parallele zwischen Vampirismus und Drogenkonsum ist da schon ein alter Hut.

Zum anderen trifft sich die Zombie-Verachtung von Jarmuschs Helden mit einem zweiten Boom: In der Populärmythologie sind die elitären, eleganten Vampire, die ihre Blutlust jedenfalls nach dem Biss kurzfristig kontrollieren können, zuletzt von den Zombies überrundet worden – die sind das Proletariat der Menschenfresser und kennen nur geistlosen, grenzenlosen Hunger. Aber wo Filmemacher wie George A. Romero diese wandelnden Untoten einst für Gesellschaftskritik nützten, dienen sie heute hauptsächlich als reaktionäres Feindbild: Sie verkörpern die Revolte der Unterschicht.


Profikiller und Managergier.
Ähnliche Überschneidungen gab es bei Jarmusch schon früher: Forest Whitaker als Profikiller-Held in „Ghost Dog“ nahm das japanische Hagakure als Lebensgrundlage, als dieser Samurai-Kodex auch als Leitfaden in Managerkreisen sehr beliebt war. Aber man muss nur an Jarmuschs vorigen Film „The Limits of Control“ zurückdenken, um zu wissen, wo er steht: Dessen Held, auch ein Killer, triumphierte etwas unglaubwürdig über das Böse (Bill Murray als Rumsfeld-Cheney-Amalgam politisch-industrieller US-Gier), indem er „seine Imagination nützte“.

Adam lamentiert dagegen, die Zombies hätten „Angst vor ihrer Imagination“, darum sei die heutige Kultur korrodiert. Ob dagegen Jarmuschs Katalog seiner Vorlieben hilft, der aus diesem Film überreichlich quillt? (Als Eve Koffer packt, gleitet die Kamera liebevoll über Buchrücken von Cervantes bis David Foster Wallace, Adams Fotowand zieren u.a. Bilder von Buster Keaton, Claire Denis oder Nicolas Tesla, und in der plattesten Variante nennt sich der Vampir abwechselnd Dr. Faustus, Dr. Strangelove und Dr. Caligari.)

Auch wenn das Namedropping im neuen Film selbst Woody Allen erblassen lassen würde, sind solche Reverenzen ein Jarmusch-Eckpfeiler: Die originellste Idee seines Debütfilms „Permanent Vacation“ (1980) war, ein Kino zum Handlungsort zu machen , in dem das Eskimo-Drama „The Savage Innocents“ seines Lehrmeisters Nicholas Ray läuft – aber aus dem Saal tönt Ennio Morricones Soundtrack zu einem von Sergio Leones Italowestern. Auch Jarmuschs Durchbruchsfilm „Stranger Than Paradise“ (1984) gönnte sich solche Momente – als der von John Lurie gespielte Drifter-Antiheld beim Pferderennen wetten will, endet die Liste mit drei Pferden, die wie Filme des japanischen Meisterregisseurs Yasujirô Ozu heißen, dessen minimalistischen Stil (nicht nur) Jarmusch bewundert.


Abschied von der Gegenwart. Die Bewunderung für Jarmuschs zweiten Spielfilm verdankte sich der coolen Understatement-Umsetzung eines Lebensgefühls der Lähmung: Während sich die Coen-Brüder im selben Jahr mit „Blood Simple“ als Manieristen des US-Independentfilms empfahlen, wurde Jarmusch dessen Formalist. Seine unbewegliche Kamera spiegelte komisch die absurde Emotionslosigkeit, mit der seine Außenseiter durch brillant gefilmte, desolate Landschaften trieben. Visuelles Gespür (und tolle Soundtracks) sowie die Lust an formaler Spielerei blieben das Jarmusch-Markenzeichen, ob bei Episodenfilmen wie „Mystery Train“ (1988), einer Eloge an die Musikstadt Memphis, Tennessee, aus dem Geiste von Elvis oder seinem einsamen Meisterwerk „Dead Man“ (1995), einem Todestrip, der das Western-Genre zu Neil Youngs Gitarre endgültig dekonstruierte.

Am rein filmischen Talent von Jarmusch hat sich nichts geändert, aber an der Kulturlandschaft: Mit dem Überfluss der Internet-Ära hat sich das alte Hipster-Modell des Besser(wisser)-Eklektizismus verabschiedet, seither ringt Jarmusch damit – durch ambitionierte Resteverwertung („Coffee and Cigarettes“, 2003) oder superb in Szene gesetzte Leerläufe wie „Limits of Control“ (2010) und „Only Lovers Left Alive“. Die Gegenwart ist im Jarmusch-Universum ins Hintertreffen geraten, auch wenn die Hauptfiguren einmal zum Trost das Haus von Jack White betrachten und am Ende, zurück in Tanger, Zeuge eines großartigen Auftritts der Sängerin Yasmine Hamdan werden. „Ich hoffe, sie wird nicht berühmt“, sagt Adam dann beeindruckt. „Das wäre das Schlimmste.“ Die Hipster-Sicht der Dinge ist eben unsterblich.

Zur Person

Jim Jarmusch kam 1953 in Akron, Ohio, zur Welt. Schon als Jugendlicher interessierte er sich für die Gegenkultur (Burroughs, Beatniks).

Das Filmstudium absolvierte Jarmusch Ende der 1970er, u.a. beim legendären Regisseur Nicholas Ray. Mit „Stranger than Paradise“ (1984), seinem zweiten Film, wurde Jarmusch gleich zur Ikone des US-Independentkinos.

Zwölf Langfilme hat Jarmusch gedreht, von „Down by Law“ (1986) über „Night on Earth“ (1991) zu „Only Lovers Left Alive“, der diese Woche anläuft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2013)

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