„Snowpiercer“: Ein Kammerspiel des Klassenkampfs

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Mit seiner Action-Allegorie schafft Südkoreas Erfolgsregisseur Bong Joon-ho den Sprung zur internationalen Produktion: Chris Evans, Tilda Swinton und Ed Harris in einem Thriller über den postapokalyptischen Kampf.

Düstere Zukunftsaussichten ist man im Blockbusterkino gewöhnt: Der Fantasy-Eskapismus ist in den aktuellen Krisenzeiten auch erstaunlich griesgrämig geworden – Christopher Nolans bitterer Batman ist die geeignete Bannerfigur. Routinemäßig müssen sich Hollywoods Helden der digital aufgeblasenen Apokalypse stellen, sei es die biblische Sintflut wie in „Noah“ oder doch nur die übliche Superschurken-Zerstörungsvision wie in den meisten Comicfilmen. Selbst dem brav patriotischen Weltkriegshelden Captain America wurde der beruhigende Optimismus ausgetrieben, als man ihn eben für „The Return of the First Avenger“ in die Gegenwart holte und ihn ein totalitärer Vernichtungsplan aus eigenen Reihen an seinen Idealen zweifeln ließ.

Gerettet vor der Eiszeit – als Gefangene

Nun wird Captain-America-Darsteller Chris Evans gar Anführer der bewaffneten Revolution – in der starbesetzten Action-Allegorie „Snowpiercer“, mit der Südkoreas Topregisseur Bong Joon-ho das Feld der Traumfabrik-Konkurrenz im Genre buchstäblich von hinten aufrollt. Die Apokalypse hat in seinem Film bereits stattgefunden: Verunglückte Versuche zur Kühlung der Erdatmosphäre haben eine tödliche Eiszeit heraufbeschworen, die einzigen Überlebenden rasen an Bord eines geschützten Schnellzugs in Endlosschleife rund um den Globus – gerettet im Gefängnis.

Denn der Zug ist ein abgeschotteter Mikrokosmos, in dem es kein Entrinnen aus der zugeteilten Klasse gibt: Ganz hinten sind die Slumwaggons, wo in unerträglichen Zuständen jene leben, die ohne Ticket mitgenommen wurden, als der Zug – vor mittlerweile 17 Jahren – abfuhr. Je weiter nach vorn man kommt, desto besser werden die Bedingungen. Im Vorderteil gibt sich die Elite luxuriösen Genüssen wie dekadenten Dauerclubbings hin. Und vorn in der Lok sitzt der legendäre Schöpfer des Zugs und seines unzerstörbaren Antriebs, Wilford (Ed Harris).

Das ist auch zwingend der Weg, auf dem die Handlung dieses Films vorwärtsdrängt: Es gibt keine Abzweigung, draußen wartet der Kältetod – auf dem (exakt ein Jahr in Anspruch nehmenden) Weg des Zugs um den Erdball passiert man ein Mahnmal: die nach wenigen Metern im Schnee zu Eisfiguren gefrorenen Teilnehmer eines schon lange zurückliegenden Ausbruchsversuchs.

Der nächste Aufstand ist dennoch unvermeidlich: Regisseur Bong betont seine Notwendigkeit mit gewohnt anspielungsreichen Bildern aus der Zone des Subproletariats, die sowohl die Vernichtungspolitik des NS-Regimes beschwören wie – angesichts der Herkunft des Filmemachers naheliegender – die japanische Besatzung Koreas. Man muss von Proteinblöcken leben, die, wie sich bald in einer bösen Pointe zeigt, aus Kakerlaken hergestellt sind: Curtis (Chris Evans) und seinen Mitstreitern (u.a. John Hurt) gelingt es, die Soldaten bei der Essenslieferung zu überwältigen, es folgt die Flucht nach vorn. Durch die Proteinküche geht es etwa in einen bizarren Schulwaggon, wo eine unheimlich enthusiastische Lehrerin den Kindern vor allem Hymnen zum Lobpreis Wilfords eintrichtert, was auch an Nordkorea denken lässt: Als metaphorisches Bild scheint der titelgebende Zug eine blind vorwärtsrasende Turbokapitalismus-Gesellschaft zu beschwören, als Politparabel handelt „Snowpiercer“ aber vom Freiheitskampf gegen jede Form von diktatorischem Totalitarismus.

Umgesetzt ist das mit dem Gespür eines Stilisten, im Vergleich zur parallel startenden Hollywood-Zukunftsvision „Transcendence“ mit Johnny Depp wird vor allem deren Inkompetenz augenscheinlich. Von der gefeierten, 1984 begonnen französischen Comicserie „Le Transperceneige“ hat Bong die sehr filmische Grundidee des rasenden Zukunftszugs übernommen und zum knackigen Klassenkampf-Kammerspiel umgebaut, dessen Abschweifungen seinen Neigungen entgegenkommen: Wie im Monsterhit „The Host“ kombiniert er Genrespannung mit soziopolitischen Interessen und einem satirischen bis grotesken Sinn für Humor: Tilda Swinton spielt Milfords Ministerin als böse Thatcher-Parodie mit blöder Überbiss-Zahnprothese.

„Zu intelligent“ für Harvey Weinstein

Dass der nationale Erfolgsregisseur Bong jetzt im Weltkino gelandet ist, begründet er übrigens ausschließlich mit seinem Stoff: Als Arche Noah der Zukunft habe sein Zug nach einer internationalen Besetzung verlangt – eine Hollywood-Karriere schwebe ihm aber nicht vor, da gebe es zu viel kreative Einflussnahme. So hebt sich sein Revolutionsfilm bis in die bittere Bilanz wohltuend von der Masse ab: US-Verleiher Harvey Weinstein wollte „Snowpiercer“ sogar kürzen lassen, weil er „zu intelligent“ für das Publikum sei. Das bringt seine Stärken auf den Punkt.

ZUR PERSON

Bong Joon-ho (*1969/Seoul) erregte bereits mit seinem Debüt „Barking Dogs Never Bite“ (2000) internationales Aufsehen, es folgten der preisgekrönte Thriller „Memories of Murder“ (2003) über ungeklärte Serienmorde in Südkorea in den 1980ern und der intelligente Monsterfilm „The Host“ (2006), der zum erfolgreichsten Film in der Geschichte Südkoreas wurde. „Snowpiercer“ ist Bongs erster englischsprachiger Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)

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