„Love Steaks“: Wenn der Zufall Ko-Regie führt

Love Steaks
Love SteaksFOGMA Timon Schäppi / HFF Potsdam
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Mit „Love Steaks“ lässt Regisseur Jakob Lass die Konventionen im deutschen Film hinter sich. Heraus kommt ein frischer, frecher Liebesfilm für das breite Publikum.

Die Wellen rollen, die Menschen tollen herum in einem Kurhotel direkt an der Ostsee. Clemens kommt dorthin, um als Masseur zu arbeiten: Er ist ein pflichtbewusster junger Mann, der sich redliche Mühe gibt mit den Gästen – selbst wenn sie ihm in den Schritt greifen, bleibt er höflich. Damit steht er in krassem Gegensatz zu Lara: Die junge Frau erscheint furchtlos, will das Leben spüren, wo immer und wann immer es geht. Sie arbeitet als Küchenhilfe im selben Kurhotel; der Flachmann hilft ihr dabei, nicht zu verzweifeln. Es kommt allerdings vor, dass sie sturzbetrunken Auto fährt oder am Strand k.o. geht. Dort findet sie Clemens eines Nachts dann auch und hilft ihr wieder auf die Beine. Es ist der Beginn einer stürmischen Liebesgeschichte, die sich nicht an die Konventionen des Genres halten will.

Für Regisseur Jakob Lass, einen jungen Unbequemen aus der traditionsreichen Potsdamer Filmschule „Konrad Wolf“, geht es in seinem Film ohnehin nicht um Konventionen: Er öffnet sein Werk für Zufälle und spontane Einfälle. Das Leben selbst soll die Ko-Regie übernehmen. Die aristotelische Dramatik mit Anfang, Mitte und Ende der Handlung wird nicht abgeschafft, sondern abgeschabt, und das Skelett mit frischem Fleisch angereichert – mit „Love Steaks“ eben.

Schon der Titel des Films ist augenzwinkernd sinnfrei, selbst wenn während der 90 Minuten schon mal ein saftiges Stück Rindfleisch gebraten wird. Das Kurhotel, in dem gedreht wurde, hat während der Dreharbeiten seinen Betrieb aufrechterhalten. Die Hauptdarsteller Lana Cooper und Franz Rogowski interagierten als einzige professionelle Schauspieler mit den Hotelangestellten – gegenseitige Berührungsängste wurden abgebaut, indem die beiden vor und auch während des Drehs im Hotel weiter der Arbeit ihrer Rollen nachgingen: Lana in der Küche und Franz als Masseur.

Auch die Drehtage waren ungewöhnlich gebaut: Jeweils zwei Einheiten zu maximal vier Stunden standen täglich auf dem Plan, immer auch beeinflusst davon, in welchen Bereichen des Hotels gearbeitet werden konnte, ohne den laufenden Betrieb zu stören. „Der Alltag bestimmt den Drehtag, und nicht, wie sonst üblich, umgekehrt“, heißt es von der Produktion dazu.

Nicht alle Liebesfilmklischees

Man spürt schon, da rafft sich gerade eine neue Generation von deutschen Filmkreativen auf, die kein Erbe mehr antreten möchte. So gut wie alle Schlüsselfiguren in der „Love Steaks“-Crew sind unter 35: junge Leute, die rastlos sind und auch unzufrieden damit, wie sich das deutsche Kino zwischen geflissentlichem Förderprojekt und strengem Kunstfilm eingependelt hat. Sie suchen jetzt das breite Publikum, wollen aber dennoch anspruchsvoll arbeiten und erzählen. „Fogma“ nennen Lass und sein Team ihre Arbeitsweise: Es ist eine augenzwinkernde Anspielung auf das Filmregelwerk „Dogma 95“, mit dem Regisseure wie Lars von Trier und Thomas Vinterberg ab Ende der Neunzigerjahre das dänische Kino – und auch dessen Selbstverständnis – erneuert haben.

Im Gegensatz zu Arbeiten wie von Triers „Breaking the Waves“ und „Idioten“ oder Vinterbergs „Das Fest“ kommt „Love Steaks“ allerdings weit weniger radikal und brachial daher. Selbst wenn viel geflucht wird und nicht alle Liebesfilmklischees bedient werden, wollen die Macher das Publikum nicht verstören, sondern es lieber öffnen für alternative dramaturgische Ansätze. Dahinter steht eine große Hoffnung, genährt von der großen Mitmach- und Abstimm-Maschine Internet und all ihren Sozialmedien und Crowdfunding-Instrumenten: Nämlich, dass man mit Mut und Kreativität nicht nur weit springen kann, sondern direkt einem vom Mainstream ermüdeten Publikum in die Arme hüpft, eben weil die Institutionen dazwischen, wie die Filmförderung, ausgeschaltet werden.

So ganz hat das nicht geklappt: Eigentlich sollte der Film „Love Steaks“, der unabhängig produziert wurde, auch eigenständig vertrieben werden, und das zeitgleich über traditionelle Kinos und als Video-on-Demand. Letzteres ermöglicht es Endverbrauchern, den Film über spezielle Web-Plattformen direkt ins Wohnzimmer zu streamen. Die gleichzeitige Verwertung von kleineren Produktionen in Kinos und via Internet ist am US-Markt schon gang und gäbe. Dort nennt sich das Modell „Day-and-Date“, in Deutschland wurde der Erstversuch von Jakob Lass mit dem etwas bemühten Neologismus „Cinestream“ überschrieben. Damit hofft man auch jüngere Zuschauerschichten wieder ansprechen zu können, die vor allem kleinere europäische Filme meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Internetstream von Kinos verhindert

Die innovative Distribution von „Love Steaks“ hätte das Zeug zum Präzedenzfall für Deutschland gehabt, ist aber in letzter Minute von der AG Kino, der „Gilde deutscher Filmkunsttheater“, verhindert worden – die fürchtet nicht zuletzt und vielleicht auch zu Recht, dass die Kinos aufgrund von Video-on-Demand-Auswertungen noch mehr Zuschauer verlieren als ohnehin schon. Die Qualität des Films bleibt von diesen film- und verleihpolitischen Überwerfungen unberührt. „Love Steaks“ gefällt als frischer, frecher und fehleranfälliger Film und ist damit genau das, was dem deutschen Kino lange gefehlt hat: eine junge, unabhängige Stimme inmitten von gut abgehangenen Erzählhaltungen, die der verkrampften Theoretik der älteren Filmemachergeneration eine fette Dosis Praxis entgegenstreckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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