"Unter Kontrolle": Massenmord aus drei Perspektiven

Szene aus ''Unter Kontrolle''
Szene aus ''Unter Kontrolle''(c) WarnerBros
  • Drucken

Durchwachsener, aber frischer Psychothriller „Unter Kontrolle“: Jennifer Lynch auf Papas Spuren. Erinnerungen an "Twin Peaks" werden wach.

Wenn die zwei FBI-Agenten in ihren perfekt sitzenden schwarzen Anzügen mit pflichtbewusstem Gebaren und professioneller Pragmatik durch die Polizeistation eilen, werden Erinnerungen an den Ermittler aus „Twin Peaks“ wach, den Kyle MacLachlan mit einer Mischung aus buddhistischem Gleichmut und kriminalistischem Ehrgeiz spielte. David Lynchs Tochter Jennifer verfasste damals ein Begleitbuch zur Serie: „Das geheime Tagebuch der Laura Palmer“. So überrascht es nicht, dass sich in ihrer zweiten Regiearbeit einige Stimmungsgespinste und Figurenmodelle aus dem Werk des Vaters wiederzufinden scheinen.

Bill Pullman: In Demenz getrieben

Den Vorwurf des Nepotismus musste sich Jennifer Lynch schon beim Debüt 1992 gefallen lassen: Ihr grotesker Romantik-Thriller Boxing Helena handelte von einem Arzt, der seiner Herzensdame die Glieder amputiert, um sie zu binden. Der Film wurde von feministischen Aktivistinnen angegriffen, dann gab es ein Gerichtsverfahren, da Hauptdarstellerin Kim Basinger nach mündlicher Zusage für die Titelrolle kurz vor Drehstart wieder ausstieg. Jennifer Lynch zog sich nach den Kontroversen für gut fünfzehn Jahre aus dem Filmgeschäft zurück.

In Unter Kontrolle (Original: Surveillance) schlägt die Regisseurin andere Töne an: Ihr Figurenkarussell aus mehreren Rückblenden resultiert in einem durchwachsenen, aber frischen Psychothriller. Zwei Fixgrößen aus David Lynchs Ensemble – Julia Ormond und der unterschätzte Charakterkopf Bill Pullman, den Lynch in eine Darstellung der Demenz treibt, wie es noch niemand vor ihr tat – spielen die eingangs erwähnten Agenten. In einer Polizeistation in der Wüste von Santa Fe verhören sie drei Zeugen eines Massenmords.

Wie sich die Bruchstücke der Erzählung zusammenfügen, ist nicht atemberaubend, aber von Lynch schön ausgespielt. Einige ihrer stilistischen Spompanadeln gehen zwar nicht auf, aber es tut wohl, eine eigenständige, noch dazu weibliche Stimme im so normierten Genrekino zu vernehmen. mak

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.