"Weiße Lilien": Desorientiert durch den Traum des Architekten

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Christian Froschs Science-Fiction-Albtraum „Weiße Lilien“ verwelkt an Überbedeutung.

Ein leichtes, leises Säuseln durchweht Neustadt: eine autarke, vom Rest der Welt abgeschnittene Wohnanlage, entworfen als modernistischer Architektenfeuchttraum. Organisiert ist das Äußere: die Lebenseinheiten stapeln sich übereinander, soziale Hierarchie spiegelnd: unten die Arbeiter, oben die Technokraten. Organisiert ist auch das Innere: Die Neustädter werden verwaltet von Menschen und Maschinen, werden therapiert, durchschaubar gemacht, vor allem aber werden sie überwacht. Und dennoch bleibt das Säuseln in Christian Froschs Weiße Lilien und damit etwas Organisches, das sich nicht austreiben lässt: Vielleicht sind es die in sterilen Räumen hängen gebliebenen Erinnerungen. Denn wo Verzweiflung ist, keimen die Geister. Vielleicht sind es Träume.

Hannah (allzu manieriert: Brigitte Hobmeier) träumt viel: Die Verwaltungsangestellte hat sich gerade vom Gatten (schön manisch: Xaver Hutter) gelöst, ist umgezogen, aufgestiegen in die elfte Etage, in eine Wohnung der Kategorie C. „Eigentlich viel zu teuer.“ Hannah, meint der Regisseur, ist ein Symptom Neustadts, ihm geht es weniger um die Psychologie einer einzelnen Figur als um das System. Und so wird Hannah als Individuum verschlüsselt: Mit Hobmeiers feinem, ausdrucksstarkem Gesicht durchwandert sie labyrinthische Gänge. Vieles an Weiße Lilien ist darauf ausgerichtet, das Publikum herauszufordern: Frosch arbeitet mit Desorientierung, die Räume fließen ineinander (Schnitt: Michael Palm; Kamera: Busso von Müller). Im Schnellurteil kann man den Film bequem in die Nähe von David Lynch rücken: kräftige Symbole (Blut auf weißen Lilien), nichtlineare Erzählweise, wummernde Tonwelten, surreale Einsprengsel – aber vor allem das Dunkel hinter dem Schein. Doch was bei Lynch wie ein luzider Traum wirkt, ist bei Frosch Konzept: Vom System und wie der Einzelne darin verschwindet.

Hannah trifft Anna

Weiße Lilien ist thematisch nah an Froschs Die totale Therapie. Mit diesem grotesken Sozialthriller lieferte er 1997 eine Schlüsselarbeit zu einem neuen gesellschaftlichen Selbstverständnis: Die Psyche wird nach außen gelagert und zur Diskussion gestellt. Ironischerweise ist das in Neustadt gar nicht mehr möglich: Die Menschen haben sich austherapiert. Dann trifft Hannah Anna (Johanna Wokalek) – die junge Frau erweist sich bald als Terroristin, will Neustadt zerschlagen, dessen Architekten und geistigen Vater Auerbach in die Luft sprengen. Nicht nur die Namen Hannah und Anna klingen gleich, auch die Figuren lassen sich ineinander spiegeln: „Und dieses Ich ist eine andere.“

Weiße Lilien verwelkt schließlich wegen dieser Überbedeutung: Frosch versteht es, einen einzusaugen, minutenweise erreicht das Werk atmosphärische Wucht, da inszeniert er Bilderreihen, die das österreichische Kino so noch nicht gekannt hat. Und dann lässt er seinen Figuren keine Luft zum Spiel: Wo Hannah natürlich sein müsste, gerade um im großen Aufbau und der allgegenwärtigen Synthetik von Neustadt zu wirken, muss sie bedeuten, muss sie symbolisieren, muss sie darstellen. Sie ist Auslöser oder Symptom oder Anzeiger für das, worum es Frosch wirklich geht: um Systemkritik, aber die ist klumpig, unbeholfen, dreist. Froschs Film wirkt schön, aber unstet, eingelassen irgendwo zwischen der Metaphysik Lynchs und der Körperlichkeit David Cronenbergs, mit dessen Frühwerk Shivers viel geteilt wird. Zum Schluss tropft das Blut von den weißen Lilien und man weiß wieder, dass das Unbestimmte viel aufregender ist als das Bestimmte. Eben ein leichtes, leises Säuseln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2008)

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