Neu im Kino: Es schimmern die Liebe und der Tod

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Schlicht und schön wie eine Illustration von Norman Rockwell: „Married Life“ von Ira Sachs, ein grandios besetztes, hochspannendes Fünfziger-Jahre-Krimimelodram.

Ganz so als hätte sich Norman Rockwell, zeitlebens unterschätzter Cover-Illustrator des Magazins Life, dazu entschlossen, die Eröffnungssequenz eines Kinofilms zu bebildern, beginnt Ira Sachs Krimimelodram Married Life: Stilisierter Alltag zwischen Technologiefieber im Vorstadthaus – mit surrendem Bleikühlschrank in der Küche und knisterndem Röhrenfernseher im Wohnzimmer – und der geschniegelten Stadt mit feinen Restaurants und leicht anrüchigen Bars.

Durch diese gemütliche Illusion stapft der erfolgreiche Geschäftsmann Harry Allen (als großer Leidender perfekt: Chris Cooper). Der „romantic and sentimental fool“ lebt mit der zarten, lebensfrohen Ehefrau Pat (eine der unterschätzten Schauspielerinnen ihrer Generation: Patricia Clarkson) im schönen Familienheim fernab vom Trubel, wird aber seit einiger Zeit von seinem Gewissen geplagt.

Ein Tête-à-tête mit der blonden Soldatenwitwe Kay (auch ideal: Jungaktrice Rachel McAdams) zeigt Harry unmissverständlich auf, dass seine Beziehung zu Pat nur mehr gewohnheitsmäßig liebevoll ist, dass sein Leben erst dann neuen Fahrtwind bekommen wird, wenn er dem Begehren für die viel jüngere Frau nachgibt.

Married Life basiert auf einem Groschenroman von 1953 und kreist um ein diffuses Glücksgefühl: Im Nachkriegsamerika sind Leidenschaften gern und oft in das Korsett der Konvention und Normalität geschnürt worden, das Glück kam mit der Ehe, mit den Kindern, mit den materiellen Gütern. Die populärsten Formen des US-Kinos dieser Ära, auch Film Noir und Screwball-Komödien, speisten sich aus dieser Zwangslage. Der große Melodramatiker Douglas Sirk etwa ließ in seinen späten Technicolorfilmen wie Imitation of Life und All that Heaven Allows die unter den Alltagsmasken verschütteten Gefühlslagen hervorbrechen, allerdings ohne den im heutigen Kino obligaten Zynismus (wie in Sam Mendes Oscar-Erfolg American Beauty).

Suspense wie bei Hitchcock

Ira Sachs, der zuletzt schon im stillen Charakterstück Forty Shades of Blue die Nuance dem Schlaghammer vorzog, führt seine Figuren selten vor, bleibt der Maßgabe der Vorlage treu und schafft dadurch unprätentiöses, hochspannendes Gefühlskino, das erst beim wiederholten Hinsehen seine ganze Schönheit offenbart.

Wenn etwa spät im Film, die Suspense-Schraube schon fest gedreht ist, just jenes defekte Rücklicht zu Harry Allens Verhängnis zu werden droht, das bereits viel früher zu flackern begonnen hat, dann wähnt man sich als Zuseher in den Händen eines souveränen Handwerkers, dann darf man sich durchaus auch an die Kunst von Alfred Hitchcock erinnert fühlen. Mit dem britischen Meisterregisseur hat Sachs zudem gemein, dass sich keine Figur der kleinbürgerlichen Moral beugen muss, dass er keine Urteile abgibt.

Der häufig geäußerte Grundsatz „We can't build our happiness on the unhappiness of others“ erfährt bis zum Ende des Films hin mehrere Bedeutungsverschiebungen, wird schließlich als Stehsatz, als Floskel erkennbar. Inhaltlich wie formal kommt Married Life angebracht beiläufig daher: Sachs fühlt sich weder veranlasst, Filmhistorie zu kommentieren (also einen Metatext über Sirk-Melodramen zu inszenieren wie Todd Haynes im großartigen Far from Heaven), noch selbige zu ironisieren (wie es die Coen-Brüder im überschätzten, überkandidelten Vintage-Noir The Man Who Wasn't There versuchten). Sachs ist Neoklassizist, auch da er das Geschick des Films der Erzählung anvertraut, kaum je in vom Inhalt abgerückte formalistische Extravaganzen ausschert.

Married Life ist so schlicht und oberflächlich wie eine Illustration von Norman Rockwell. Im Hintergrund singt Doris Day „I can't give you anything but love“, und die Liebe und der Tod schimmern in allen Farben des Kinos. Es ist wie in der guten alten Zeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2008)

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