Neu im Kino: Im Labor der Leidenschaften

(c) filmladen (2007 Pascal Chantier - Mobydick Films)
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Typisch französisch: Emmanuel Mourets Liebeslustspiel „Küss mich bitte!“.

Im französischen Liebesfilm, weiß das Klischee, regiert das Wort. Ein rechter Schlaumeier wie der junge Filmemacher Emmanuel Mouret (Jahrgang 1970) weiß solch Klischee gleich ironisch überzustrapazieren. Das hat seinen Komödien renommierte Vergleiche eingetragen: Mit Woody Allen, wohl weil auch Mouret seine neurotischen Hauptfiguren selbst spielt, und mit Eric Rohmers philosophischen Attraktionskonstellationen.

Mourets Küss mich bitte! beginnt mit einem perfekten romantischen Abend – nur den Schlusskuss verweigert die Dame, hebt dafür zu einer weitschweifigen Erzählung über dessen mögliche fatale Folgen an. Deren Illustration macht die eigentliche Handlung des Films aus, dessen Ton das Rufzeichen im deutschen Titel Hohn spricht: Solche Exzesse des Ausdrucks sind Mouret fremd! Un baiser s'il vous plaît bettelt bezeichnend – und treffend – das Original.

Wie man einen Busen streichelt

Erotische Verwirrung entsteht aus ausgesuchter Höflichkeit: Die Zuneigung, die ihm fehle – nein, nicht so, sie wisse schon, körperlicher Natur – begehrt ein Mathematiklehrer (Mouret) von der langjährigen guten Freundin (Virgine Ledoyen als bildhübscheste Chemikerin des jüngeren Kinos). Mit ihren Berufen angemessenem Interesse lässt sich das Duo (trotz anderweitiger privater Bindung) aufs physische Experiment ein.

Eine lange Schlüsselszene holt beträchtliche Komik aus der Steifheit der alten Freunde beim Sex: Schamhaft funktional bleibt Mourets Mise-en-scène, alldieweil das Paar methodisch zu Werke geht, dabei Kusstechniken, Stellungen oder die ideale Weise, einen Busen zu streicheln, bespricht. Die Pointe? Das so studiert wirkende Liebesspiel beglückt beide. Sehr. Ergo folgt die Probe aufs Exempel – „Am Boden. Das ist weniger bequem!“ – mit gleichem Resultat. Der Rest ist Beziehungsdilemma.,

So weit, so typisch französisch: Sein Zielpublikum wird Mourets Film mithin befriedigen. Mit der Komik Woody Allens mag man das vergleichen, mit den moralischen Erzählungen des Kinophilosophen Eric Rohmer kann es sich nirgendwo messen, trotz eines quasikommentierenden Spannungsbogens: Mourets Erzählung wird angelegentlich von Schnitten auf die Erzählerin unterbrochen – wird sie die Konsequenz aus ihrem Fallbeispiel ziehen oder doch ein womöglich fatales Küsschen wagen?

Die Antwort erahnen lässt Mourets Neigung zum Aufdringlichen bei aller prononcierten „Zurückhaltung“: Er versüßt den Film unnötig durch üppigen Einsatz von Tschaikowski und Schubert. Und an den Wänden prangen bezeichnende Bilder: Schäfermotive erst, später die warnenden Etiketten im Chemielabor. Sollte Mourets Idee der Leidenschaft unter solchen Bedingungen mehr mit dem Versuch als der Versuchung zu tun haben? Honi soit qui mal y pense.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2008)

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