"Actrices": Die links- oder rechtshändige Frau

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Freimütiges Bekenntnis zur Neurose mit Parallelen zum wirklichen Leben: „Actrices“ von und mit Valeria Bruni Tedeschi, Schwester von Carla Bruni. Ab Freitag.

Wenn das die Regenbogenpresse wüsste: Während begierig nach privaten Details aus dem Leben von Frankreichs First Lady, Carla Bruni(-Sarkozy), gebohrt wird, offenbart deren ältere Schwester als Filmemacherin freimütig autobiografische Details und private Neurosen. Die renommierte Charakterdarstellerin Valeria Bruni Tedeschi liefert mit ihrer zweiten Regiearbeit Actrices abermals echt persönliches Kino. Dafür bürgt bereits die Besetzung. Wie schon in ihrem Erstling Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr spielt Bruni-Tedeschi eine Figur, deren Lebensumstände ihren eigenen verblüffend nahekommen: italo-französische Schauspielerin, alleinstehend, demnächst 40, von entsprechender Lebensmitte-Nervenkrise geplagt.

Die Mutter dieser Film-Aktrice wird abermals von der echten Mutter von Valeria (und Carla) Bruni verkörpert: Konzertpianistin Marisa Borini zeigt als dominante Mama komisches Talent. Als Schlüsselfilm über den Bruni-Clan ist das Resultat aber sonst entschieden weniger ergiebig als Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr (wo es sogar eine Carla nachempfundene Nebenfigur gab). Dafür ist Actrices deutlich konsequenter inszeniert: Im Vergleich zu Jacques Rivettes oder John Cassavetes' einschlägigen Versuchsanordnungen über die parallelen Welten von Theater und Leben ist Bruni Tedeschis Film dennoch bloß eine Petitesse mit Hang zum tragikomischen Exzess.

Der Eröffnungsdialog steckt das Thema ab: „Unten ist der repräsentative, oben der private Bereich“, heißt es zur Wohnungsbegehung. Zufriedenes Urteil: „gut aufgeteilt“. Im Folgenden zeigt sich freilich, dass diese säuberliche Trennung nicht im Geringsten funktioniert – schon gar nicht bei Schaustellern mit prononcierter Neigung zur Selbstdarstellung und zur theatralischen Geste.

Absurde Verwicklungen, gespreizte Komik

Bei der von Bruni Tedeschi gespielten Aktrice Marcelline sind die theatralischen Allüren zur Essenz der Person geworden: In einem bezeichnenden Moment fragt sie der Regisseur ihres aktuellen Stücks (Mathieu Amalric), ob sie rechts- oder linkshändig sei – und sie kann sich nicht entscheiden.

So rätselhaft wie einst bei Handkes linkshändiger Frau geht es motivationstechnisch aber nicht zu: Selbst gelegentliche Geistererscheinungen verdanken sich (über)deutlich psychologischen Traumata. Ähnlichkeiten zwischen Marcelline und der von ihr eben einstudierten Rolle (Natalja Petrowna in Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“) sind erwünscht, ebenso Handlungsparallelen zum Stück, etwa das mehr als professionelle Interesse am Bühnen-Juniorpartner (Louis Garrel). Die resultierenden Verwicklungen nehmen rasch absurde Dimensionen an, das entspricht der Verschrobenheit der Hauptfigur: Erst sagt Marcelline, sie bete lieber ohne Kirche, gleich darauf kniet sie zum Gebet im Gotteshaus – und kurz danach will sie bei der Jungfrau Maria die letzte Fassung ihrer Bitten wieder revidieren.

Es wird mit gespreizter Komik kokettiert, gern auch hochnotpeinlicher Natur. Die von Torschlusspanik und Kinderwunsch getriebene Aktrice gibt einem Baby kurzerhand die Brust, da verstummt sogar dessen Mutter, im Film sonst eine Art Gegenstimme der Vernunft zu Marcelline (gespielt von Regisseuse Noemie Lvovsky, die Bruni Tedeschi in Oublie moi einst eine Schlüsselrolle gab). Aber mit Vernunft kommt man bei Actricesohnehin nicht weit: Um den Film zu schätzen, muss man dem neurotischen Charme seiner Autorin erliegen, die noch in den unpassendsten Momenten mit erstaunlicher Offenherzigkeit betreten-kindlich zu lächeln vermag. Hoffentlich ist der scheinbare Freimut nicht nur Caprice einer Aktrice.

ZUR PERSON

Valeria Bruni Tedeschi (*1964, Turin) zog mit ihrer Großindustriellenfamilie im Alter von neun nach Frankreich, studierte Schauspiel. Als Charakterdarstellerin genießt sie größtes Renommee, spielte u. a. für Chéreau, Chabrol. „Actrices“ ist ihre zweite Regiearbeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2008)

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