"So viele Jahre liebe ich dich": Es gibt ein Leben nach dem Mord

"So viele Jahre liebe ich dich"(c) Polyfilm
  • Drucken

Regiedebüt des französischen Bestsellerautors Philippe Claudel: das feine Schwestern-Drama „So viele Jahre liebe ich dich“.

Eine fröhliche Gesellschaft in einem französischen Landhaus, darunter eine verschlossene, schweigsame Frau. Kaum einer in der Runde weiß etwas über diese bisher unbekannte Schwester der Universitätsprofessorin Lea, der Alkohol macht ungeniert, einer der Herren drängt auf Auskunft: Die Frau muss ihr Geheimnis lüften, woher sie kommt, was sie bisher gemacht hat, was ihr Beruf ist. Schließlich antwortet sie: „Ich war 15 Jahre lang wegen Mord im Gefängnis.“ Daraufhin bricht die Runde in ausgelassenes Gelächter aus...

Es ist aber kein Witz. Wie kann eine Frau, die ein unvorstellbar schreckliches Geheimnis mit sich schleppt und nach so vielen Jahren hinter Gittern in die „normale“ Welt zurückkehrt, wieder Hoffnung schöpfen und zu leben beginnen? Sie kann, das ist die mutmachende Botschaft des Schwestern-Dramas So viele Jahre liebe ich dich (Il y a longtemps que je t'aime).

Die britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas brilliert im Regiedebüt des französischen Bestsellerautors Philippe Claudel als Haftentlassene Juliette, die von der Familie ihrer Schwester Lea (Elsa Zylberstein) aufgenommen wird. Lea versucht alles, um ihr die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern, am Anfang scheinbar hoffnungslos. Wie die völlig erloschene Juliette dann aber doch ganz langsam und mit zermürbenden Rückschlägen wieder zu lächeln und leuchten beginnt, wie der Film Schicht um Schicht eine lang verschüttete Schwesternliebe freilegt, das könnte in Hollywood Stoff für ein dick aufgetragenes Tränendrüsen-Drama abgeben. Claudels Film aber entkommt dem scheinbar mühelos. Vor allem dank der Schauspielkunst der Hauptdarstellerin, der klugen Dialoge und der Geduld und Sensibilität von Regisseur und Kamera, die das Geschehen an keiner Stelle in einfache Lösungen und Gefühlsduselei abdriften lassen, bleibt er berührend glaubwürdig bis zum Schluss.

Claudel ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch seinen Roman „Die grauen Seelen“ über ein lothringisches Dorf im Ersten Weltkrieg bekannt. Sein erster Film wurde im Februar auf der Berlinale uraufgeführt und gewann den Publikumspreis. Man merkt am Drehbuch den routinierten Erfolgsautor, denn trotz des ernsten Themas zieht sich eine feine Spannung durch die Handlung: Erst allmählich werden die Hintergründe der Mordtat enthüllt. Der Schluss konfrontiert den schockierten Zuseher mit dem wahren Ausmaß von Juliettes biografischer Bürde. Sie macht das hoffnungsvolle Ende dieser Geschichte freilich nur umso ergreifender.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.