„The Cut“: Die Todesmärsche der Armenier

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Der türkischstämmige Filmemacher Fatih Akin ist mit „The Cut“ gescheitert, vielleicht, aber er ist interessant gescheitert. Gerade seine „Langatmigkeit“ wirkt berührend.

Filme, die wie „The Cut“ ein großes Anliegen verfolgen, haben es leicht und schwer zugleich. Der leichte Teil kommt vor der Premiere: Es gibt jede Menge Berichterstattung, weil das große Anliegen – im Fall von „The Cut“: den Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 in Erinnerung zu rufen – allein schon Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Der schwere Teil kommt danach: Der Film muss den Erwartungen auch standhalten. „The Cut“ war ein Herzensprojekt des Hamburger Regisseurs Fatih Akin, der im Vorfeld vielfach für seinen Mut gelobt wurde, ausgerechnet als Sohn türkischer, nach Deutschland emigrierter Eltern das Thema aufzugreifen. Angesichts der rundum hohen Erwartungen wirkt es im Nachhinein wenig überraschend, dass der Film dem nicht entsprechen konnte. Nun haftet ihm der Ruf an, „gescheitert“ zu sein. Aber es zeigt sich, dass Scheitern sehr viel interessanter sein kann als manch glatter Triumph.

Akin hat „The Cut“ ganz bewusst als großes, gewissermaßen altmodisches Epos angelegt. Im Zentrum der Handlung steht der armenische Schmied Nazaret, der mit Frau und zwei Töchtern im Jahr 1915 in Mardin, einer Stadt im Südosten des ottomanischen Reiches, lebt. Noch herrscht ein multikulturelles Idyll, aber Schreckensnachrichten über Deportationen anderswo machen bereits die Runde. Dann wird Nazaret von türkischen Milizen zur Zwangsarbeit abgeführt. Beim Straßenbau in der Wüste wird er zum Augenzeugen der Todesmärsche, erlebt Willkür und Massaker. Dem eigenen Tod entgeht er nur durch das Missgeschick des Schergen, der ihm die Kehle durchschneiden soll und dabei lediglich die Stimmbänder trifft. Nazaret überlebt und schleppt sich auf der Suche nach seiner Familie in eines der berüchtigten Sammellager, wo die osmanische Aufsicht armenische Frauen und Kinder elendig an Hunger und Krankheiten zugrunde gehen lässt. Seine gesamte Familie tot glaubend, landet er in Aleppo, wo ihn ein gütiger arabischer Seifenproduzent bei sich aufnimmt. Nach Kriegsende erfährt er, dass seine beiden Töchter noch am Leben sein könnten. So macht er sich auf die Suche, die ihn über Kuba in die USA und dort bis nach North Dakota führen wird.

Nazaret ist ein passiver Held, durch den Kehlschnitt bald zum Inbegriff des „stummen Zeugen“ geworden. Die Sprachlosigkeit lässt dem französischen Schauspieler Tahar Ramin (bekannt aus dem französischen Film „Ein Prophet“, in dem er einen Araber spielt, der im Gefängnis zum Spitzel wird) allerdings kaum Entfaltungsmöglichkeiten darüber hinaus, seiner Figur einen gleichbleibend trotzigen Stolz zu verleihen, der ihn bei allen Rückschlägen nicht aufgeben lässt. Dass er an jeder seiner Stationen auf einen namhaften Schauspieler trifft (vom Franzosen Simon Abkarian über die Dänin Trine Dyrholm bis zur kanadischen Armenierin Arsinée Khanjian und dem Deutschen Moritz Bleibtreu), ist bei dieser Art von Großproduktion verständlich, bringt aber auch eine etwas lachhafte Unwucht mit sich, erfüllen deren Figuren doch wenig mehr als eine Wegweiserfunktion.

Gute Taten und Gräueltaten

Trotzdem gelingt es Akin, die Situationen auf Leben und Tod eindringlich und, was das Besondere dabei ist, ganz ohne ethnische Stereotypie zu schildern. Die religiöse Zugehörigkeit seiner Figuren unterspielt er geschickt. Der Film scheint darauf zu bestehen, dass Menschen sich nicht dadurch unterscheiden, dass sie zu Allah beten oder ein Kruzifix-Tattoo tragen, sondern allein durch ihre Handlungen. Die guten Taten wie die Gräueltaten zeigt Akin immer auch als Aktionen von Individuen, nicht nur als Ergebnisse einer anonymen Befehlsmaschinerie. So leistet der muslimische Dieb, der beauftragt war, Nazaret die Kehle durchzuschneiden, später eine Art Sühnedienst an ihm.

Die türkischen Deserteure, die als Wegelagerer zwischen den Kriegsfronten ihr Unwesen treiben, versuchen, die Opfer ihrer Überfälle trotz allem menschlich zu behandeln. Der Syrer, der ihn und andere armenische Flüchtlinge bei sich aufnimmt, tut das als gläubiger Moslem. Später muss Nazaret erleben, dass es Vergewaltigungen an ethnischen Minderheiten auch in den USA gibt. Das weite Spektrum von Orten und Handlungen, das Akin behandelt, verführt ihn zwar zur Wiederholung großer Panoramaszenen, die, teuer und mit vielen Statisten inszeniert, einen allzu naiven Bilderbuchcharakter bekommen. Trotzdem scheint gerade in diesem Ausgreifen über den Rahmen des eigentlichen Genozids hinaus etwas von jener besonderen, ungezähmten Emotionalität auf, die Akins stärkste Filme wie „Gegen die Wand“ und „Auf der anderen Seite“ so stark prägte. Die Wehmut über die versprengten Schicksale in der Diaspora gehört zur Geschichte genauso wie die grausigen Details der Todesmärsche. So ist es gerade die „Langatmigkeit“, die in „The Cut“ letztlich besonders berührt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2015)

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