Filme: Mord und Moral

Filmausschnitt Lornas Schweigen.
Filmausschnitt Lornas Schweigen.(c) Filmladen
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Gesellschafts-Bilder und Rollenspiele: Das preisgekrönte Sozialdrama „Lornas Schweigen“ schwächelt, die Gefängnis-Dokumentation „Gangster Girls“ ist stark.

Mit dem Geld fängt alles an: Zu Beginn von Lornas Schweigensteht die Titelfigur am Schalter einer Bank in Liège. Geld soll ihren Traum finanzieren: Lorna, die albanische Immigrantin, möchte in Belgien mit ihrem Liebsten eine kleine Bar eröffnen.

Geld schafft auch Abhängigkeiten: Lornas Weg zum Glück führt durch eine Scheinehe. Ein schnelles Geschäft: Die Heirat mit einem belgischen Drogensüchtigen bringt ihr die Staatsbürgerschaft, ihm Geld für Stoff. Sein baldiges Ableben an einer Überdosis ist Teil des Plans, das Ziel ist noch mehr Geld: Dann kann die nunmehrige Belgierin Lorna gewinnbringend einen Russen heiraten.

Aber Lornas Gewissen kommt dazwischen: Beim Leben auf engstem Raum ist ihr der Junkie ans Herz gewachsen, obwohl er eine ständige Belastung ist – im Rausch wie beim Entzug. Für Lorna will er sogar mit den Drogen aufhören. Da wackelt der Plan. Und Lornas russische Hintermänner machen unmissverständlich klar, dass dann bei der Überdosis nachgeholfen werden muss.

Filme über Extremsituationen

Mord und Moral: Die unverwechselbare Dringlichkeit des Kinos der belgischen Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne verdankt sich zum einen zwar ihrer viel imitierten Ästhetik (zuletzt sogar in Hollywood bei The Wrestler: eng an den Figuren mit der Handkamera hinterdrein); zum anderen liegt es an den ethischen Extremsituationen, in die sie ihren Charakteren folgen. In Rosetta erwog ein arbeitsloses Mädchen, den einzigen Freund ertrinken zu lassen, um seinen Job zu bekommen; in Der Sohn folgte ein Tischler dem Mörder seines Kindes; in Das Kindverkaufte ein Gauner sein Neugeborenes.

Die charakteristische Mischung aus realistischem Sozialdrama und spiritueller Fallstudie hat die Dardennes zu Schlüsselfiguren des Gegenwartskinos gemacht: Sie zählen zu den wenigen, die in Cannes schon zwei Goldene Palmen gewonnen haben. Ihr Stil ist nicht nur einflussreich, sondern wirkt auch ausgeschöpft. Mit Lornas Schweigen versuchen sie eine sanfte Neuorientierung: Aus der heimatlichen Provinz in die nächste Stadt, eine konventionellere Bildsprache mit mehr statischen Einstellungen, ein neues Gesicht: die albanische Aktrice Arta Dobroshi, still und ausdrucksstark. (Dardenne-Stammschauspieler Jérémie Renier ist als Junkie-Gatte eindrucksvoll ausgemergelt.)

Aber das bewährte Dardenne-Drama hat dabei Kraft und Glaubwürdigkeit eingebüßt, nicht nur der selbstverständliche Sog der Handkamera fehlt. Bisher schienen die Aktionen ihrer Figuren wie natürlich aus dem Milieu zu wachsen, doch diesmal droht Didaktik: Der Kreislauf des Gelds steht nicht nur im Zentrum, er wird so penetrant betont, dass es mehr über die Filmemacher als über die Gesellschaft auszusagen scheint. Ohne die irre Schlusswendung Richtung Märchen bliebe das Gefühl reinen Thesenkinos: Weniger Sozialdrama als Rollenspiel.

Da hat eine kleine österreichische Dokumentation die Nase vorn: In Gangster Girlssieht Regisseurin Tina Leisch Insassinnen des Frauengefängnisses Schwarzau unvoreingenommen zu: beim Arbeiten, Erzählen und bei Theaterproben (inklusive Tanz zu Musik von Gustav). Die Schminke bleibt im Gesicht, so wird einerseits vorschriftsgemäß Anonymität gewahrt, zum anderen ein Brecht'scher Effekt erzielt, der die teils enorm lebendigen Erzählungen überlagert. Das Rollenspiel hat für diese Frauen schon vor der Inhaftierung begonnen. Und angefangen hat es meistens mit dem Geld.

AUF EINEN BLICK

„Lornas Schweigen“ („Le silence de Lorna“) von Jean-Pierre und Luc Dardenne erhielt 2008 den Drehbuchpreis in Cannes; ab Freitag läuft der Film in Österreichs Kinos.

„Gangster Girls“, das Regiedebüt von Tina Leisch, ist eben angelaufen. Derzeit zu sehen in Wien (Stadtkino, UCI Millennium), Wiener Neustadt (Zentralkino), Graz (KIZ).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2009)

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