„Still Alice“: Alzheimer, ausweglos

Still Alice
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Julianne Moore spielt in „Still Alice“ eine Fünfzigjährige, die um jedes Wort, jede Erinnerung kämpft. Die Regie ist leider etwas zu konventionell. Ab Freitag im Kino.

Alice läuft. Wie so oft führt sie die Strecke auch am Universitätscampus vorbei. Es ist der Arbeitsplatz der Fünfzigjährigen: Sie ist Professorin für Linguistik und gilt als Koryphäe auf dem Gebiet. Aber an diesem Tag ist etwas anders. Alice verliert kurzfristig die Orientierung, blickt verängstigt um sich und erkennt nichts wieder: kein Gebäude, keine Fassade, nichts. Ein paar Tage später stellt der Arzt die Diagnose: Alzheimer. Das Leben, wie sie es kannte, ist vorbei. Trotz Unterstützung ihrer Familie scheint sich ihre Identität nach und nach aufzulösen. Und dann nimmt sie ein Video auf, in dem sie ihrem späteren Selbst penible Anweisungen für einen Selbstmord hinterlässt.

„Still Alice“ ist ein großartiger Titel für diesen Film. Denn was ist diese Frau denn „noch“, wenn sie alles, das sie ausgemacht hat, verliert? Diese Frage hat sich wohl auch Julianne Moore gestellt: Die große Schauspielerin, die zuletzt in David Cronenbergs „Maps to the Stars“ als psychisch Ausgehebelte brillierte, nimmt diese Alice nicht an der Hand, sondern hat sie verinnerlicht. Das hat ihr zu Recht den Oscar als beste Hauptdarstellerin eingebracht. Wie sie um jedes Wort, um jede Erinnerung kämpft, wie furchtlos sie sich auf diese Figur einlässt, ist beeindruckend. Tatsächlich ruht der ganze Film auf ihren Schultern. Alle anderen, darunter Alec Baldwin als überforderter Ehemann und Kristen Stewart als entfremdete Tochter, treten in den Hintergrund.

Die Regie leider ebenfalls: Das homosexuelle Ehepaar Richard Glatzer und Wash Westmoreland inszeniert die Geschichte dieser Frau ernsthaft und pflichtbewusst, bewegt sich allerdings innerhalb der Konventionen des problemthematischen Dramas. Der dramaturgische Verlauf wird von dem der Krankheit diktiert: Deren Ausweglosigkeit verdoppelt sich in der Inszenierung, die wenig anderes kann, als sich in diffuse Ideen von Pietät und Würde zu flüchten. Die Kamera des Franzosen Denis Lenoir versucht die Ohnmacht der Hauptfigur mit desorientierenden Kreisbewegungen, genereller Unruhe und irritierenden Unschärfen bildhaft werden zu lassen, wirkt zumeist allerdings überfordert.

Das letzte Wort ist „Liebe“

Etwas zeigt „Still Alice“ dann doch ganz gut: Wie schnell sich eine Gesellschaft von Menschen verabschiedet, die nicht mehr funktionieren wie gewohnt. Westmoreland und Glatzer fächern beispielhaft auf, wie sich die Universität von Alice trennt, nachdem ihre ehemals unantastbare intellektuelle Integrität gefallen ist. Und sie erzählen von den Kämpfen innerhalb der Familie. Vom Ehemann, der von Alice immer auch angetrieben wurde und sich jetzt neu organisieren muss. Und von den Kindern, die mit einer Mischung aus Ignoranz, Empathie und Schrecken auf das Verblassen ihrer Mutter reagieren, einer Frau nicht im hohen Alter, sondern einer, die mitten im Leben steht.

„Still Alice“ selbst steht im Eckerl der unantastbaren Filme: Arbeiten, die ein schwieriges Thema souverän umsetzen, getragen werden von guten Schauspielern und letzten Endes leicht zu nehmen, aber schwer zu kritisieren sind. Was soll man dagegen schon sagen? Mutig ist all das allerdings nicht. Im Gegensatz etwa zum österreichischen Essayfilm „Nur kein Mitleid“ von Peter Kern: Darin besucht er unter anderem ein Pflegeheim für Demenzkranke und besteht gemäß dem Filmtitel darauf, die dortigen Bewohner eben nicht mitleidig anzublicken, sondern ihnen als Mensch in die Augen zu schauen.

Etwas Radikalität hätte auch „Still Alice“ gutgetan. Gemessen an den Biografien der Regisseure ist es eigentlich überraschend, dass das Drama gar so unauffällig daherkommt. Der Engländer Westmoreland sammelte erste Erfahrungen bei Underground-Regisseur Bruce LaBruce, bevor er gegen Industriekonventionen gebürstete und mehrfach ausgezeichnete Schwulenpornos mit Titeln wie „Dr. Jerkoff and Mr. Hard“ oder „The Devil is a Bottom“ inszenierte. Gemeinsam mit Glatzer gelang ihm schließlich der Sprung in den amerikanischen Indie-Mainstream. Den haben sie, wie „Still Alice“ beweist, nicht mehr verlassen. Das letzte Wort, das die von der rasend schnell fortschreitenden Krankheit gezeichnete Frau in die Kamera sagen darf, ist „Liebe“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2015)

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