Glas und Blut in "Wolfsbergen": Die verstörte Familie

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Nanouk Leopolds Drama „Wolfsbergen“: Viele der melodramatische Elemente bleiben banal, der Umgang mit Ton und Bild ist jedoch durchwegs bemerkenswert, eine Art filmischer Kammermusik. Im Stadtkino.

Das erste Bild verspricht Freiheit und Versenkung in der Natur: Minutenlang wandert Sonnenlicht zu sanftem Vogelgezwitscher über die Bäume. Das Versprechen ist trügerisch: In dem Leben, die das audiovisuell außerordentliche Familiendrama Wolfsbergen beschreibt, ist die Natur zur Hintergrunddekoration degradiert (sogar buchstäblich: als Fototapete). Oft spielen Szenen vor großen Fenstern, dahinter wirkt der Wald wie ein fernes Diorama, der Eindruck künstlicher Distanz wird durch die Schalldämpfung der Geräusche von draußen verstärkt: Sie könnten fast auch aus einem Lautsprecher kommen. Die Niederländerin Nanouk Leopold beginnt ihre Erzählung gewagt: Die Entfremdung der Figuren voneinander übersetzt sie in ein formales Prinzip. Nach 20 Minuten sind viele der Beziehungen zwischen den Charakteren noch immer unklar, auch wenn sich Handlungslinien abzeichnen: Großteils unzusammenhängende Momente, in scharf komponierte Bilder gefasst, mit beeindruckender Effizienz arrangiert – da wirkt der Film wie ein radikaler, fast kubistischer Gegenentwurf zum so beliebten Trend, verschiedene Episoden zwanghaft zu verknüpfen (am liebsten global, wie in Babel).

Präzise Geometrie der Entfremdung

Aber dann füllen sich die Lücken, es kristallisiert sich ein relativ konventioneller Kunstfilm heraus. Die Geschichte ist trotz provokativen Themas einer der uninteressanten Aspekte: Ein alter Witwer hat der Familie geschrieben, er will seinem Leben ein Ende setzen. Die Angehörigen haben ihre eigenen Probleme: Die Tochter leidet am alternden Körper und an angeknackster Ehe, eine Enkelin hat eine Affäre, die andere verliert ständig die Fassung. „Was er will, ist gegen das Naturgesetz“, sagt eine über den Todesplan. Aber was bedeutet der Begriff in einer Welt, die ihren Bezug zur Natur verloren hat?

Viele der melodramatische Elemente bleiben banal, der Umgang mit Ton und Bild ist jedoch durchwegs bemerkenswert, eine Art filmischer Kammermusik: Leopold inszeniert die Figuren in stillen, distanzierten Tableaus als einsame Gefangene, getrennt durch senkrechte Linien im Dekor, nur distanziert sichtbar durch Türöffnungen oder hinter Glas. Dieser präzisen Geometrie der Entfremdung entsprechen Erzählmotive: Ein kleines Mädchen reagiert verstört und verstörend auf die streitenden Eltern, zerbeißt ein Glas, kaut, bis sie blutet. Später sieht es durchs Fenster einen Wolf: wie ein natürliches Wunschbild. Die erstaunliche Harmonie am Schluss deutet an, dass der Wunsch nicht vergebens sein muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2009)

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