Señor Kaplan: Misslungene Verfilmung, ausgemachter Schwindel

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Wo bleibt "Kaplans Psalm", fragt sich Erich Hackl in seinem Gastbeitrag für die "Presse" anlässlich des Kinostarts der Verfilmung des erfolgreichen Romans.

Der kolumbianische Schriftsteller Marco Schwartz hat den Roman seines Großvaters geschrieben. Einen spannenden, der vor Witz und Weisheit sprüht, dabei lapidar erzählt wird und von einem betagten polnischen Juden handelt. Schwartz nennt ihn Jacobo Kaplan, dichtet ihm eine glorreiche Vergangenheit als Inhaber des Damenmodengeschäfts Rebeca an und versetzt ihn in eine geschäftige Stadt an der Karibikküste, unter der wir uns Barranquilla – wo der Autor geboren und als Journalist zurzeit auch tätig ist – vorstellen dürfen. Dann sät er Zwietracht zwischen Kaplan und seiner Gemeinde: Der Rabbiner predigt neumodischen Quatsch, windige Geschäftemacher korrumpieren ihre Glaubensbrüder mit Geldbündeln und schlechten Manieren, und die wenigen rechtschaffenen Alten, mit denen Kaplan einmal die Woche im Jüdischen Klub Domino spielt, machen sich heimlich über ihn lustig: weil sein älterer Sohn eine verkrachte Existenz ist; weil sich dessen Tochter mit einer Palästinenserin anfreundet; weil der einzige Enkelsohn gar eine Goje geheiratet hat.

Das alles bekümmert Kaplan. Er wittert Abhilfe, als im Radio von einem Nazi-Netzwerk die Rede ist, angeführt von einem deutschen Professor, der im brasilianischen Urwald hocken soll, aber vielleicht ganz in der Nähe sein Unwesen treibt. In einem Kneipenbesitzer am Strand, den alle nur El Alemán nennen, glaubt Kaplan den Nazi zu erkennen und will ihn mithilfe eines trinkfreudigen, tollpatschigen und begriffsstutzigen Polizisten nach Israel entführen. Das würde, denkt er, seiner Familie mit einem Schlag zu Ruhm und Ansehen verhelfen, ihn selbst mit G-tt versöhnen.

Der turbulente Roman endet ganz anders, als es sich sein Held vorgestellt hat, erscheint unter dem Titel „El salmo de Kaplan“ 2006 in einem spanischen Verlag und neun Jahre später, in der glanzvollen Übersetzung von Jan Weiz und Peter Schultze-Kraft, auch auf Deutsch („Kaplans Psalm“, bei Hentrich & Hentrich in Berlin, 197 Seiten, 14,90 €).

Kurz nach Erscheinen der Originalausgabe liest der uruguayische Regisseur und Produzent Álvaro Brechner den Roman, offenbar mit wachsender Begeisterung, und beschließt, ihn zu verfilmen. Dafür verlagert er den Schauplatz von der Karibik an den Río de la Plata, nach Montevideo, wo er sich auskennt. Sonst hält er sich eng an die Vorlage, nur gelingt es ihm nicht, den Kern der Geschichte zu erfassen: Denn Schwartz ist es um mehr als um Unterhaltung gegangen; anhand der Gewissensnöte seines Helden zeigt er, wie sinnlos eine religiös oder kulturell begründete Gemeinschaft wird, wenn sie Bedrängten keinen Halt gibt, sondern nur noch der Sicherung von Herrschaft dient. Ihre Traditionen, ihre Riten, ihre Gebote sind hinfällig geworden. Wer das ahnt, aber nicht akzeptiert und im Zwiespalt Gott anruft, findet ein tragikomisches Ende: Kaplan hat sich nicht nur im Nazi geirrt, sondern hält seinen letzten Atemzug, der ihm als beseeltes Wesen erscheint, für den Engel des Herrn, nimmt ihn in den Würgegriff und verlängert damit den eigenen Todeskampf.

Intervention des Übersetzers

Solche Missverständnisse hätte ein Woody Allen in Höchstform in Szene setzen können: Brechner versucht es erst gar nicht. Sein Drehbuch ist grob gestrickt, entsprechend unsicher die Regie. Oft hat man den Eindruck, die beiden Hauptdarsteller, Héctor Noguera und Néstor Guzzini – die Kaplan und den Polizisten Contreras verkörpern (den Deutschen spielt Rolf Becker) –, wissen nicht recht, was sie eigentlich tun, wie sie Gedanken und Gefühle zur Schau stellen sollen. Diese Unschlüssigkeit wird durch die aufdringlich banale Filmmusik von Mikel Salas noch verstärkt. Umso erstaunlicher, dass der Film – „Mr. Kaplan“ ist der dümmliche Originaltitel, „Señor Kaplan. Ein Rentner räumt auf“ nennt ihn, noch dümmer, der deutsche Verleih – im Vorjahr für den spanischen Goya und als Kandidat Uruguays für den Auslands-Oscar nominiert wurde. Er ging in beiden Fällen leer aus und verschwand in Spanien wie in Lateinamerika rasch aus den Kinos.

Bleibt die Frage, welcher Teufel Brechner geritten hat, dass er die Romanvorlage verschweigt. Dabei hatte er sich beim Erwerb der Filmrechte verpflichtet, sowohl in der Promotion als auch in den Credits, und zwar prominent im Vorspann, darauf hinzuweisen, dass sein Film auf dem Roman von Marco Schwartz beruht. Dem ist Brechner einfach nicht nachgekommen. Nur im Abspann, weit hinten und winzig klein, fand sich der Verweis „auf ein Werk von Marco Schwartz“. Dass „Kaplans Psalm“ wenigstens in Deutschland und Österreich, wo der Film am 14. August anläuft, im Vorspann erwähnt wird, ist vermutlich der Intervention des Übersetzers Schultze-Kraft geschuldet. Auf Schwartz' Reklamation, Ende vergangenen Jahres, hatte ihm zufolge eine Repräsentantin der Produktionsfirma noch geantwortet: „Steck dir deine Eitelkeit in die Hosentasche!“

Auch in Interviews hat Brechner den Roman, nach einer Wortschöpfung seines Landsmannes Eduardo Galeano, „verniemandet“, und ein Dutzend Zeitungen und Sender sind ihm auf den Leim gegangen. Der Polyfilm-Verleih, der „Señor Kaplan“ nun in die heimischen Kinos bringt, erwähnt im Presseheft die Vorlage mit keinem Wort. Dafür bringt er „Notizen“ des Regisseurs, denen zufolge ihn der eigene Großvater zur Hauptfigur inspiriert habe. „Somit begann ich, meine eigenen Erinnerungen an meinen Großvater mit fiktionalen Elementen zu verbinden, woraus die Geschichte von Jacob Kaplan entstand.“ Leider ist diese Schöpfungsfantasie zu schäbig, als dass sie Marco Schwartz zu einem neuen Roman inspirieren könnte: „Brechners Tücke“.

Zum Autor

Der Schriftsteller Erich Hackl („Abschied von Sidonie“, „Dieses Buch gehört meiner Mutter“) ist ein Kenner und Förderer lateinamerikanischer Literatur und hat zahlreiche Romane aus dem Spanischen übersetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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