„Black Mass“: Ein charismatisches Scheusal

Johnny Depp als Gruselgangster mit Vorderglatze, Lederjacke, schlechten Zähnen und derbem Idiom.
Johnny Depp als Gruselgangster mit Vorderglatze, Lederjacke, schlechten Zähnen und derbem Idiom.(c) Warner Bros
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Scott Coopers „Black Mass“ erinnert an den Bostoner Gangsterboss Whitey Bulger – und lässt dabei Johnny Depps diabolischer Performance allzu freien Lauf.

Der Titel von Scott Coopers Gangsterfilm „Black Mass“ (und dessen journalistischer Buchvorlage) spielt auf den US-Bundesstaat Massachusetts an, dessen Hauptstadt Boston kraft ihres Rufs als hartes Pflaster schon zahlreichen Verbrecherepen Hollywoods als Schauplatz diente – zuletzt Martin Scorseses „The Departed“ und Ben Afflecks „The Town“. „Black Mass“ bedeutet aber auch Schwarze Messe, was Coopers Genrebeitrag dezidiert unter teuflische Vorzeichen setzt: die Stadt als Gruft, in deren Untiefen unaussprechliche Rituale vonstattengehen. Der Hohepriester? James „Whitey“ Bulger, gespielt von Johnny Depp.

Bevor Bulger 2011 nach 16-jähriger Flucht gefasst wurde, war er einer der meistgesuchten Männer Amerikas. In den Siebzigern bestieg er mit roher Gewalt und taktischem Geschick den Thron der Bostoner Unterwelt – als heimlicher FBI-Informant lieferte er seine Mafiakonkurrenz ans Messer und genoss im Gegenzug Immunität. Als die Kooperation aufgedeckt wurde, führte das zu einem der größten Skandale in der Geschichte der Sicherheitsbehörde.

Die kernige Hauptfigur einer saftigen Geschichte um Macht und Korruption: ausreichend Potenzial für eine Rehabilitation von Depps durch federgewichtige Rollen („Transcendence“, „Mortdecai“) angekratztem Schauspielrenommee. Doch schon sein erster Auftritt in Coopers Film macht klar: Hier gibt es wieder die gewohnte Make-up-Maskerade. Immerhin passt sie zum nahenden Halloweenfest – Vorderglatze, Lederjacke und ein stechend böser Blick dank eisig-blauer Kontaktlinsen. Als Gruselgangster schneidet Depp grimmige Grimassen, fletscht seine schlechten Zähne und sorgt mit herber Stimme und derbem Idiom für Angst und Schrecken. Es ist die Karikatur eines charmanten Psychopathen, der zu spontanen Gewaltausbrüchen neigt, aber sich liebevoll um seine Nächsten kümmert. In einer der besten Szenen gibt er dem kleinen Sohn augenzwinkernd einen wohlwollenden Rat am Frühstückstisch: Er könne tun, was er wolle, solange er sich nicht dabei erwischen lasse. Das jagt einem durchaus Schauer den Rücken hinunter, dennoch steht die Überlebensgröße von Depps Manierismen anderen Anliegen des Films im Weg.

Denn im Kern handelt die Erzählung von dem rechtsstaatlichen Verhängnis, dass Blutsfreundschaft dicker ist als Wasser. Ebenso wichtig wie Bulger (und als Figur interessanter) ist der FBI-Ermittler John Connolly (Joel Edgerton), der den Gangster als Spitzel einspannt und lange vor den Nachforschungen seiner Kollegen schützt – nicht zuletzt, weil sie als Kinder auf denselben Straßen gespielt haben. Hauptsache, das Stadtrevier bleibt in vertrauter, verwandter Verbrecherhand, und der Karriere ist es auch nicht abträglich.

Starke Besetzung, lebloses Boston

Beim Weihnachtsessen sitzen die zwei an einem Tisch, gemeinsam mit Bulgers Bruder Billy: Benedict Cumberbatch macht als aalglatter Senator gute Figur; grundsätzlich sollte der mediale Depp-Fokus nicht von der durchweg starken Besetzung ablenken. Regisseur Cooper hat bereits in seinen Vorgängerfilmen ein Händchen für Schauspieler bewiesen (früher stand er selbst vor der Kamera). Hier erfreuen Kevin Bacon, Peter Sarsgaard, Jesse Plemons und Rory Cochrane als abgebrühte Räuber und Gendarmen mit kräftigen Akzenten. Selbst die Frauen (Dakota Johnson, Julianne Nicholson, Juno Temple), genretypisch in randständige (Opfer-)Rollen gedrängt, machen das Beste aus ihren Momenten.

Das Schauspiel bleibt die größte Stärke des Films. Trotz finsterer Atmosphäre macht „Black Mass“ stilistisch einen ziemlich wankelmütigen Eindruck. Er pendelt unentschlossen hin und her zwischen Johnny-Depp-Vehikel und Ensemblestück, Jukebox-Soundtrack und elegischer Streichermusik, den Vorbildklassikern „Goodfellas“ und „Godfather“ – wobei er sowohl die atemlose Dynamik des ersten als auch die epische Breite des zweiten nur im Ansatz erreicht. Kammerspielartige Dialogsequenzen überwiegen, und Boston wirkt trotzt Masanobu Takayanagis stilvoller Kameraarbeit seltsam leblos, als hätten sich alle anständigen Bürger in ihren Häusern verkrochen. Auch die Haltung zu den Figuren bleibt unklar: Vergötterung, Vermenschlichung und Verachtung wechseln einander ab. Letztlich überwiegt die morbide Faszination für Bulger als charismatisches Scheusal mit amoralischem Moralkodex, weil sich der Film allzu genüsslich in jenen Szenen suhlt, die dem Diabolischen an Depps Performance freien Lauf lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

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