"Hunger Games": Die Rebellin aus der tödlichen Fernsehshow

Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 2
Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 2(c) Constantin Film/ Murray Close
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Im furiosen letzten Teil der "Tribute von Panem"-Reihe "Mockingjay 2" kämpfen die "Kolonien" gegen ihre Unterdrücker. Jennifer Lawrence brilliert erneut als Heldin Katniss Everdeen.

Das Ende des Vorgängerfilms „Die Tribute von Panem: Mockingjay – Teil 1“ ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen: Ihr Blick ist feindlich, ihr Hals voller blauer Flecken, nachdem ihr Freund Peeta Mellark versucht hat, sie zu erwürgen. „Ich bin Katniss Everdeen“, krächzt sie. „Ich komme aus Distrikt 12“. Peeta wurde zwar aus den Fängen des faschistischen Herrschers Präsident Snow gerettet, war aber durch Gehirnwäsche zum Attentäter „umprogrammiert“ worden.

„Mockingjay – Teil 2“, der letzte Film der auch als „Hunger Games“ bekannten Reihe, setzt kurz nach diesem Mordversuch an Katniss ein. Die Rebellion gegen Präsident Snow hat beinahe alle Distrikte erfasst, und Katniss fungiert unter dem Nom de guerre „Mockingjay“ (Spotttölpel, ein Hybrid aus Spottdrossel und Tölpel) als Symbolfigur dieses Aufstandes. Ruhelos schleicht sie, eine Anführerin wider Willen, umher. Sie will etwas tun – außer Propagandavideos für die vordringenden Rebellen zu drehen –, und so wird Katniss als Mitglied eines „Star Squad“, bestehend aus prominenten Unterstützern der Rebellion, an die Front geschickt. Sie soll beim Kampf ums Kapitol in Richtung des Präsidentenpalastes vorrücken, begleitet von Kameras, ohne allzu großer Gefahr ausgesetzt zu werden. Doch versteckte Fallen verwandeln die in Ruinen liegende Hauptstadt Kapitol zu einer Todeszone. Als wäre das nicht genug, stößt der labile Peeta zur Truppe. Katniss ahnt: Für die Rebellion wäre sie tot wertvoller als lebendig – als Märtyrerin für die gute Sache.

Brutaler als die Vorgängerfilme

Wie in den Vorgängerfilmen muss sie bald um ihr Leben rennen und kämpfen. So gerät ihr Vormarsch zu einer Art Neuauflage der TV-Show „Hunger Games“ – in ihr geht es um Leben und Tod –, die Katniss in den ersten beiden Filmen überlebt hat. Das war schon brutal, in „Mockingjay 2“ scheinen die Morde noch willkürlicher, die Fallen noch brutaler. Ein Anschlag gegen Schluss übersteigt das Maß an bei Jugendfilmen üblicher Gewalt deutlich. Das ist die Logik solcher Filmreihen: Es gilt, das zuvor Gezeigte zu überbieten.

Inhaltlich ist das furiose Ende der vierteiligen Filmreihe trotzdem dichter als die Vorgänger. Regie geführt hat abermals Francis Lawrence, ein gebürtiger Wiener. Ihm gelingt es diesmal besser, die Teenager-Dystopie in eine größere Erzählung auszuweiten und mit Gesellschaftskritik anzureichern: „Mockingjay 2“ erzählt von unfreien Individuen, sozialer Ungerechtigkeit und totalitären Mächten, ohne Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben. Die Heldin in der Verfilmung von Suzanne Collins' Jugendromanen ist höchst misstrauisch, nicht nur dem offensichtlichen Antagonisten Snow (genussvoll diabolisch: Donald Sutherland) gegenüber, sondern auch der trickreichen Rebellenanführerin Alma Coin (nuanciert: Julianne Moore). „Ich bin eine Sklavin von Snow“, sagt Katniss. „Ich habe es satt, sein Spiel zu spielen.“ Ihr Wunsch nach Selbstbestimmung ist Teil eines größeren Kampfes um Unabhängigkeit, der an koloniale Konflikte erinnert: Die ausgebeuteten Distrikte erheben sich gegen die Unterdrücker. Denn die Bewohner des Kapitols leben auf Kosten der zwölf Distrikte. Dargestellt werden die Hauptstadtbewohner als Ausgeburt von Dekadenz samt kulinarischen Exzessen und Schönheitsoperationen, die an Selbstverstümmelung grenzen.

Mit welchen Mitteln der Kampf um Unabhängigkeit vonstattengeht, darüber fechten die Figuren auch einen moralischen Konflikt aus. Katniss' bester Freund Gale (Liam Hemsworth) hat eine deutlich andere Auffassung von Gerechtigkeit als sie. „Niemand, der das Kapitol unterstützt, ist unschuldig“, sagt er. Will heißen: Er kann, ja soll getötet werden. Der rachedurstige Gale hat keine Gewissensbisse dabei, Zivilisten zu opfern, wenn das zum Wohl der Allgemeinheit geschieht. Der sanfte Peeta (Josh Hutcherson) tendiert hingegen eher zum Pazifismus.

Casting-Coup Jennifer Lawrence

Die ideologisch so unterschiedlichen jungen Männer sind auch Katniss' „love interests“, zwischen denen sie hin- und hergerissen ist. Diese Dreiecksgeschichte wird in „Mockingjay – Teil 2“ nicht ausgewalzt. Vielmehr konzentriert sich der Film auf die Entwicklung der Hauptfigur. Die Kamera von Jo Willems umkreist die von Jennifer Lawrence erneut superb verkörperte Heldin vielfach. Man mag den Blick ohnehin nicht von ihr abwenden. Die Schauspielerin gibt ihrer Figur Tiefe, die ähnliche Jugendbuchverfilmungen wie „Divergent“ (trotz eines starken Casts) und „Maze Runner“ vermissen lassen. Die Entscheidung, der damals kaum bekannten Lawrence diese große Rolle zu geben, war umstritten. Inzwischen zählt die Oscar-Preisträgerin zu Hollywoods „Schwergewichten“, der A-Liga – vor allem wegen des (finanziellen) Erfolgs als Heldin der „Hunger Games“-Reihe.

Zur feinen Besetzung gehörte auch Oscar-Preisträger Philip Seymour Hoffman, der im Film seinen letzten Auftritt hat. Im Februar 2014 starb der 46-Jährige an einer Überdosis Drogen, noch ehe er die Dreharbeiten für „Mockingjay 2“ beendet hatte. Für den letzten Auftritt seiner Figur haben Drehbuchautoren Peter Craig und Danny Strong getrickst: Seine letzte Botschaft an die Hauptfigur wird als Brief überreicht.

Katniss selbst steht in deutlichem Kontrast zum Hollywood-Stereotyp: Ein männlicher, meist weißer Held, so erzählen es viele Blockbuster, muss ein Trauma überwinden, um zu triumphieren – und wie Phoenix aus der Asche emporzusteigen. Katniss plagen bis zur letzten Einstellung Selbstzweifel und Ängste. Sie ist eine Überlebende, keine Siegerin. Die „Hunger Games“ haben in ihr Spuren hinterlassen.

Ab 19. November

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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