Film: Joy wischt sich ihr Leben zurecht

Joy (Jennifer Lawrence) lässt sich von ihrer Familie, u. a. ihrem Vater (Robert de Niro), ausbeuten. Später wird sie Matriarchin eines Haushaltsimperiums.
Joy (Jennifer Lawrence) lässt sich von ihrer Familie, u. a. ihrem Vater (Robert de Niro), ausbeuten. Später wird sie Matriarchin eines Haushaltsimperiums.(c) Twentieth Century Fox
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Wozu Glaubwürdigkeit? David O. Russell erzählt die Geschichte der Frau, die den „Wundermopp“ erfunden hat, als launige, irrwitzige Tragikomödie. Jennifer Lawrence brilliert in der Titelrolle; „Joy“ überzeugt trotz kleiner Schwächen.

Es gibt auf den ersten Blick wohl Spannenderes als einen Film über die Erfinderin des Miracle Mop, jenes Putzutensils und Teleshopping-Erfolgsprodukts, das tausenden Hausfrauen das Leben einfacher macht. Überzeugen auch Sie sich: Sie müssen sich nun nie mehr die Hände schmutzig machen! Das ist der letzte Wischmopp, den Sie je kaufen werden! Rufen Sie an und haben Sie Ihre Kreditkarte gleich zur Hand! (Die Originalwerbesendungen stehen auf YouTube.)

Ein Putzfetzen also. Was nicht gerade nach Hollywood-Material klingt, kann tatsächlich in Spielfilmlänge funktionieren, wenn man den Exzentriker David O. Russell („Silver Linings“, „American Hustle“) und Schauspielriesentalent Jennifer Lawrence an den Stoff lässt. Das Biopic „Joy“ (im Deutschen ergänzt um den Untertitel „Alles außer gewöhnlich“) erzählt die Geschichte der amerikanischen Erfinderin und dreifachen Mutter Joy Mangano, die sich von den 1990ern an ein matriarchalisches Imperium mit putzigen Haushaltsprodukten aufgebaut hat – nach dem Wundermopp schuf sie etwa samtene Kleiderbügel und bunte Duftkerzen.

Für den Film hat Russell ihre Biografie gehörig auf Dramatauglichkeit auffrisiert. Diese Joy ist eine Frau, die einst dazu berufen war, Großes zu leisten, jetzt aber nur den Dreck anderer wegräumt: Ihren Exmann, einen liebenswerten Versager, dessen Latino-Musikerkarriere nie abgehoben hat, lässt sie noch immer bei sich im Keller wohnen. Ebenso ihren Vater, der von seiner neuen Frau samt seiner Schmutzwäsche retourniert wurde („Er hat einen Schaden“) und in dessen Karosseriewerkstatt sie die Buchhaltung erledigt, während sie nebenbei für eine Fluglinie arbeitet und zwei Kinder großzieht. Ihre geschiedene Mutter, der zuliebe Joy auf ein Universitätsstudium verzichtet hat, versteckt sich vor der Realität, indem sie sich in die Traumwelt einer Seifenoper flüchtet. Als wäre das nicht genug, klafft im Fußboden ein Loch (Rohrbruch), Rechnungen bleiben unbezahlt, und die Kinder husten.

Familiäres Chaos, genüsslich zelebriert

Schon in früheren Filmen hat Russell seine Vorliebe für familiäre Chaossituationen (und seinen Hang zur Übertreibung) zur Schau gestellt. Hier zelebriert er die Eskalation, schneidet in den Wirbel im immervollen Haus Szenen der gestelzten Dialoge aus der Seifenoper, die ständig im Fernsehen rennt, und übertönt das Geschrei der gereizten Familie genüsslich mit noch lauterer Musik. Das ist nicht das Leben, das sich Joy als fantasievolles, fröhliches Kind erträumt hat. Der Wendepunkt kommt, als sie wieder einmal den anderen hinterherwischt – und sich beim Auswringen des Mopps mit den Splittern einer zerbrochenen Weinflasche die Handflächen verletzt. Es wäre nun an der Zeit, dass ihre Familie ihr die lang verweigerte Anerkennung für ihr aufopferndes Leben zukommen lässt. Tut sie nicht. Joy aber schaut auf ihre verbundenen Hände. Und hat eine Idee.

Was folgt, ist die irrwitzige Entwicklungsgeschichte einer Geschäftsidee zum fertigen, die Homeshopper begeisternden Produkt: dem Miracle Mop, bestehend aus 90 Metern aufgerollter Baumwollschlingen, die sich durch einen Mechanismus im Griff selbst auswringen. Russell lenkt in eiligem Tempo durch die Ereignisse, lässt Joy Hoffnung schöpfen, verzweifeln, lernen, sich selbst zu behaupten. Lawrence brilliert mit ihrer Wandlungsfähigkeit und verleiht der einfachen Frau aus der unteren Mittelschicht Anmut. Die Botschaft des Films nimmt man ihr sofort ab: Diese Frau gibt nicht auf, ihr Leben zu einer Erfolgsstory umzuschreiben.

Etappensieg im Teleshopping-Studio

Nach Glaubwürdigkeit scheint der Regisseur indessen nicht zu streben, zu viel Spaß macht es ihm, seine schrägen Nebenfiguren bis zur Grenze zur Karikatur zu überzeichnen. Isabella Rossellini spielt eine reiche, aber stets nervöse Witwe, die Joy ihr Startkapital stellt. Robert de Niro gibt als Joys zerknautschter Vater zu lachen, vor allem in Kombination mit Édgar Ramírez als hitzigem Exmann. Besonders die zweite Hälfte des Films ist ein launiges Wechselbad der Gefühle. Irritierend ist, mit welcher Feindseligkeit Joys dysfunktionale Familie sich ihr in den Weg stellt und sie auch dann noch zur Hausfrau zurückstufen will, als sie ihren Unternehmergeist längst bewiesen hat.

Lawrence und de Niro sind mittlerweile so etwas wie Fixstarter in Russells Filmen. Der Dritte im Bunde, Bradley Cooper, spielt in „Joy“ den pragmatischen Fernsehmanager Neil Walker, der das Potenzial im Wundermopp sieht. Und Joy den ersten Etappensieg beschert: Unschlüssig steht sie im Scheinwerferlicht auf der Drehbühne des neuartigen Teleshoppingkanals QVC und bringt kaum ein Wort heraus. Doch sie fängt sich, erzählt von ihrer Erfindung, lässt den Mopp über den Studioboden gleiten. Der wringt sich selbst aus! Ist saugfähig! Und waschbar! Da klingeln die Telefone, Joy kann es kaum glauben, Walker beschwört flüsternd die Erfolgsgeister, auf einer leuchtenden Anzeige schnellen die Verkaufszahlen in die Höhe, während der Flamenco-Rhythmus im Hintergrund immer lauter wird. Es könnte lächerlich sein, doch es berührt tatsächlich. Da kann „Joy“ noch so unstet zwischen Unternehmerporträt und Familiendrama, zwischen bizarrer Komödie und Emanzipationsabenteuer hin- und herwischen: Einer Dauerwerbesendung solche Emotion einzuhauchen, das ist eine saubere Leistung. Überzeugen auch Sie sich!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2015)

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