„The Revenant“: DiCaprio und der kalte Stachel der Rache

Leonardo DiCaprio dürfte für seine Darstellung in „The Revenant“ endlich einen Oscar bekommen.
Leonardo DiCaprio dürfte für seine Darstellung in „The Revenant“ endlich einen Oscar bekommen.(c) Centfox
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Im bildgewaltigen Winter-Western „The Revenant – Der Rückkehrer“ von Regisseur Alejandro G. Iñárritu überlebt Leonardo DiCaprio einen Bärenangriff, um Rache an dem Mann zu üben, der ihn sterbend in der Wildnis zurückließ.

Die gute Nachricht zuerst: Hollywoodstar Leonardo DiCaprio wird in „The Revenant – Der Rückkehrer“ nicht von einem Bären vergewaltigt. Diese Meldung schaffte es – allen Ernstes – auch in renommierte Medien, weshalb das Filmstudio 20th Century Fox sich gezwungen sah, entsprechenden Gerüchten entgegenzutreten. In der Szene, die zu diesen Geschichten anstiftete, wird DiCaprio als Trapper Hugh Glass von einer Bärin brutal angegriffen, gebissen, herumgeschleudert, auf den Boden gepresst, und dann stürzen beide einen Abhang hinunter. Dieser Kampf ist ein Vorgeschmack auf das große Thema des blutigen zweieinhalbstündigen Winter-Westerns von Regisseur Alejandro G. Iñárritu: das Ringen ums Überleben.

Glass gehört zu einer Gruppe Männer, die am Fluss Missouri in den 1820er-Jahren Pelztiere jagen, mitten im Indianergebiet. Nach dem Bärenangriff wird der Schwerstverletzte von seinen Gefährten zum Sterben zurückgelassen – gemeinsam mit seinem Sohn Hawk (Forrest Goodluck), dem gutmütigen, jungen Bridger (Will Poulter) und dem gierigen Pelztierjäger Fitzgerald (Tom Hardy). Als Fitzgerald seinen Sohn tötet und mit Bridger abhaut, steht Glass sprichwörtlich aus dem Grab wieder auf, um Rache zu nehmen. Fieberträume begleiten ihn auf seiner Odyssee. Diese führen zurück zu seiner Vergangenheit in einem Dorf von Pawnee-Indianern, in dem er mit seiner indianischen Frau und dem gemeinsamen Sohn lebte, ehe dieses von Weißen angegriffen wurde. Nur Glass und Hawk überlebten. Der Bub sei das Einzige, was ihm geblieben sei, sagt er einmal. Nach Hawks Tod bleibt ihm nichts außer der Rache. Fitzgerald mag als Bösewicht eindimensional scheinen, bloß ein Gauner, aber er sagt selbst: „Ich habe kein Leben. Ich überlebe.“ Gemessen daran ist sein Handeln logisch. Denn den Trappern ist eine Gruppe Ree-Indianer (eine Kurzform für Arikara) dicht auf den Fersen.

Die Darstellung der Ureinwohner ist erstaunlich differenziert: Die Arikara wirken höchst aggressiv, von den Sioux (die nicht vorkommen) sprechen die weißen Männer voller Angst, die Pawnee hingegen leben friedlich und entsprechen damit noch am ehesten dem Klischee des harmonischen Naturvolks. Diese „Native Americans“ sind nicht kollektiv als edle Wilde dargestellt wie in Karl-May-Filmen, und auch nicht als unberechenbare heidnische Teufel, wie in den frühen Western, sondern als Menschen mit Motiven, Fehlern und Geschichte.

Kongenialer Kameramann

Der Trapper Glass selbst ist eine historisch belegte Figur, seine Geschichte gehört zur amerikanischen Folklore. Durch den Bestseller „Der Totgeglaubte“ (2002) des US-Diplomaten Michael Puke kam sie wieder in Erinnerung. Auf dem Roman basiert auch Iñarritus Film. Dieser besticht durch starke Bilder, kongenial inszeniert von Kameramann Emmanuel Lubezki. Für seine Arbeit in Iñárritus „Birdman“ (der Film wirkt wie eine einzige Einstellung) sowie dem 3-D-Film „Gravity“ über das Überleben im Weltraum wurde er bereits mit zwei Oscars ausgezeichnet. Seine Aufnahmen in „The Revenant“ erinnern an die wuchtigen Naturfotos von Ansel Adams aus dem Yosemite-Nationalpark – die Geschehnisse vor dem Bergpanorama sind aber alles andere als idyllisch. In einer Schlachtszene am Beginn zeigt Lubezki sein ganzes Können: In einer minutenlangen Einstellung umkreist die Kamera Angreifer und Opfer, fliegt mit Pfeilen durch die Luft, fällt mit Sterbenden auf den Boden, stürmt zum Ufer des Flusses, taucht ins Wasser und wieder auf, um am Ende vom rettenden Boot aus einen letzten Blick auf das Schlachtfeld zurückzuwerfen. Aber auch in kleinen Einstellungen gelingt dem Ausnahmekameramann Großes: Eine Einstellung aus Glass' Perspektive zeigt Funken eines Lagerfeuers, die vor dem dunklen Wald gen Himmel treiben. Kinopoesie.

Biss in eine echte Büffelleber

Iñárritu drehte, wie einst Stanley Kubrick in „Barry Lyndon“, nur mit natürlichem Licht und mit Kerzen, Lagerfeuer und Öllampen. Zudem bestand er darauf, die Szenen in chronologischer Reihenfolge abzufilmen. Solche und ähnliche Anforderungen trieben das ursprünglich auf 60 Millionen Dollar angesetzte Budget am Ende auf 135 Millionen. Die siebenmonatigen Dreharbeiten in Ontario, Kanada, und Argentinien, wohin sie aufgrund von Wetterkapriolen verlegt wurden, waren abenteuerlich. Allein die Bärin war nicht echt, sondern animiert. Ansonsten wich DiCaprio, der sich während des Drehs nicht gewaschen haben soll, keiner Herausforderung aus. Er lernte mit einer Muskete umzugehen, wie man Feuer mit Steinen und trockenem Gras entzündet und eignete sich zwei Indianersprachen an. Der „kostbare“, weil an den Kinokassen Millionen einbringende Star spielte trotz Grippe und biss – zum Entsetzen der Manager und Versicherungen – in echte Büffelleber. Sein Einsatz wird sich, da ist sich die Filmbranche einig, auszahlen: Mit seiner Darstellung dürfte er nach fünf Nominierungen nun endlich mit einem Oscar bedacht werden.

Ob „The Revenant“ selbst bei der Bekanntgabe der Oscar-Nominierungen am 14. Jänner als Favorit für die Verleihung am 28. Februar hervorgeht, bleibt abzuwarten. Denn auf der metaphysischen Ebene, auf die Iñárritu den Film vor allem durch Glass' Traumbilder und Reflexionen zu heben versucht, schwächelt er: Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann Glass für sich nicht beantworten. Immerhin findet er heraus, was dem Leben keinen Sinn gibt: die Rache.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2016)

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