„Ice Age 3“: Dreidimensionaler Dschungel der Qualen

(c) AP (20th Century Fox)
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„Ice Age 3 – Dawn of the Dinosaurs“ kann höchstens durch seine 3-D-Effekte überzeugen. Die Pixelanimation ist in der Alltäglichkeit und damit in der bloßen Pflichterfüllung angekommen.

Das Kino kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Immer wieder. Wenn man sich Anfang des 20.Jahrhunderts im Wiener Prater mit seiner nicht nur in Europa einzigartigen Kinoszene von einem „Ausrufer“ in eines der Etablissements – etwa das Kino Kern – locken ließ, dann sah man kurze Berichte, Stummfilme, „lebende Bilder“ eben. Eine Sensation für die Sinne: exotisch, aufregend, unvergesslich. Direkt nebenan zeigten sich „die bärtige Frau“ und „der kleinste Mensch der Welt“. Gegen Bezahlung versteht sich.

Die heutige Kinoindustrie, längst nicht mehr nur Kuriositätenkabinett, sondern auch Kulturpfeiler und Wirtschaftsmacht, spekuliert und kalkuliert wieder zunehmend – und verzweifelt – mit diesem Erlebnisgedanken: Eine singuläre Erfahrung will Hollywood den Zusehern bieten, etwa mit dreidimensionalen Spektakeln – und damit nicht zuletzt dem Digitaldiebstahl von Filmen Einhalt gebieten.

Neue Imax-Säle in Wien und Graz

Dafür sind Investments notwendig, vor allem seitens der Kinobetreiber: Vor wenigen Tagen erst haben in Österreich zwei mit gewaltigen Leinwänden ausgestattete Imax-Säle (eines in Wien, eines in Graz) den Betrieb aufgenommen. Und auch die Multiplexe des Landes, jahrelang gebeutelt vom Besucherschwund, sind auf die neuen Attraktionen eingestellt, haben dafür Umbauten vornehmen lassen: Denn nur dort, wo der Film nicht mehr von der Zelluloidrolle, sondern als Bytestrom auf die Leinwand projiziert wird, kann man von Spielereien wie 3-D-Effekten, die sich heutzutage nicht mehr auf dem Filmstreifen befinden, sondern hineingerechnet werden, profitieren. Doch all diese Oberflächenpolituren machen Filme wie „Ice Age 3: Die Dinosaurier sind los!“ nicht besser. Im jüngsten Teil der Eiszeitkomödienreihe fallen einem die Regentropfen zwar auf den Schoß, zischen Lavafontänen links und rechts von einem in Richtung Plafond: Die erzählte Geschichte lässt ähnliche Tiefenschärfen allerdings vermissen.

Nervtötend: Otto Waalkes

Just nachdem sich die glubschäugigen Urzeitviecher von der großen Schmelze (zu sehen in Teil zwei) erholt haben, rollt die nächste Katastrophe auf das Land des ewigen Schnees zu: Mammut Manni und seine Gattin erwarten Nachwuchs, Säbelzahntiger Diego will sich von der familienfreundlichen Sippe absetzen und sich als Abenteurer versuchen, und das patscherte Erdmännchen Sid (in der deutschen Synchronisation gewohnt nervtötend gesprochen von Otto Waalkes) adoptiert drei Eier. Aus denen schlüpfen kleine Dinosaurier, die eine zornige Echsenmama anlocken, die wiederum ihre Bälger mitsamt Sid in eine Eisgrotte verschleppt. „Wir sind eine Herde, eine Familie!“. sagen die anderen und machen sich auf zu einer Rettungsaktion.

Alltag der Animation

Anfang der Neunzigerjahre gab es ein kurzes Zeitfenster, in dem man meinen konnte, dass der digitale Animationsfilm zur Avantgarde des Erzählkinos zu zählen ist. Angefixt von der revolutionären Technologie, arbeiteten Hunderte von Computerkünstlern an Farben, Formen und Texturen, reizten die digitale Ausdrucksfreiheit bis zum Anschlag aus. Mittlerweile ist die Pixelanimation – bis auf Ausreißer wie „Wall-E“ – in der Alltäglichkeit und damit in der bloßen Pflichterfüllung angekommen: Die einzige Innovation, die „Ice Age 3“ bietet, ist der 3-D-Effekt.

Tatsächlich: Wenn die Figuren auf dem Rücken eines Flugsauriers über einen Lavafall gleiten, links und rechts die Geröllbrocken herunterstürzen, dann bewegt man sich im Sitz mit, dann kommt so etwas wie kindliche Freude auf. Für den Rest der Zeit stapft die in den Vorfilmen etablierte Figurenkonstellation aus gutmütigen Mammuts, hyperaktiven Wieseln, kräftigen Säbelzahntigern und dummen Erdmännchen durch urzeitliche Landschaften, macht kuriose Bekanntschaften, klopft schmerzlich unlustige und schlecht eingedeutschte Sprüche (z.B. „Der, der bläht, als Hinterster geht“) und ist großen Gefahren ausgesetzt: „Ice Age 3“ hat keinen kräftigen dramaturgischen Bogen mehr wie etwa die Konkurrenzanimationen aus dem Pixar-Stall („Toy Story“), hangelt sich nur von Situation zu Situation. Die Rettungsaktion kommt vom „Dschungel der Qualen“ zur „Schlucht des Todes“ (auch „große müffelnde Spalte“ genannt), der (erwachsene) Zuseher reist gen Langeweile und findet Ablenkung bei den eingestreuten Abenteuern des Eichhörnchens „Scrat“, des Maskottchens der „Ice Age“-Filme. Dessen Kämpfe um die geliebte Eichel, bei der es diesmal Konkurrenz von einem attraktiven Flughörnchen mit wippenden Wimpern bekommt, sind hochgradig filmisch, modelliert nach dem Vorbild von Chuck Jones' „Looney Tunes“-Kurzfilmen, in denen ein Kojote immer wieder vergeblich versucht, einen Strauß zu fangen.

Abgesehen von diesen anarchischen Einsprengseln, versumpft „Ice Age 3“ in Mittelmäßigkeit: radikal entradikalisiert, befreit von allen möglichen Amokläufen gegen die Doktrin der Familienfreundlichkeit, serviert Hollywood einen Baukastenfilm mit 3-D-Zuckerguss. Den Kindern wird's gefallen, einigen Eltern ebenso: Alle anderen weinen um den Zustand des Animationskinos, gehen in den Prater und gedenken der alten Zeiten, als die Bilder zwischen Schaubuden, Karussells und Zaubershows laufen lernten.

3-D-ANIMATIONEN

„Ice Age 3“ ist nur das jüngste Beispiel für die 3-D-Welle, die vor allem die Animationsfilmproduktion erfasst hat: vom Disney-Familienfilm „Oben“ (Start: 17.9.) hin zur Märchengroteske „Coraline“ (Start: 31.7.) reicht die Palette. Aktuell wird jede in Produktion befindliche Digitalanimation dreidimensional aufbereitet, was vor allem für kleinere Kinobetreiber ein Problem darstellt: Um die digitalen 3-D-Filme zeigen zu können, muss in neue Geräte investiert werden. In Österreich ist die 3-D-Version von „Ice Age 3“ deshalb ausschließlich in Multiplexen zu sehen. Alle anderen Kinos zeigen den Film in 2-D. Und auf Zelluloid.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2009)

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