Neu im Kino: Kommissar Bellamy

(c) Filmladen
  • Drucken

„Presse“-Premiere: Gérard Depardieu brilliert als warmherziger Kommissar Bellamy in Claude Chabrols hinreißend hintersinnigem Krimi. Ab Freitag im Kino.

Ein beschwingtes, unbekümmertes Pfeifen: Geradezu jenseitig wirkt es, wenn die Bilder dazu den Meerfriedhof von Sète, und dort das Grab des französischen Dichters und Sängers Georges Brassens zeigen. Dann ein Kameraschwenk, auf die Klippe zu: Vom Meer umzüngelt liegt ein ausgebranntes Autowrack, daneben sitzt ein verkohlter Leichnam mit abgetrenntem Kopf.

Schon nach der Eingangsszene von Kommissar Bellamy (im Original schlicht Bellamy), dem mittlerweile 58. Spielfilm von Claude Chabrol, weiß man, dass dieser alte Herr des französischen Kinos immer noch ein Meister seines Fachs ist: Noch bevor Gérard Depardieu zum ersten Mal die Leinwand betritt, hat Chabrol die Stimmungssegel gesetzt, führt von Brassens Grab zu dem, was darunter, auf den nassen Steinen der südfranzösischen Küste, liegt. Ein toter Mensch, wahrscheinlich ermordet oder jedenfalls unter höchst mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Es ist ein Fall für den Pariser Kommissar Bellamy (ein herrlich unterspielter Depardieu), der – wie es der Zufall will – gerade mit seiner Frau Françoise (perfekt: Marie Bunel) im Ferienhaus bei Nimes entspannt. Er hockt auf dem Sofa, löst Kreuzworträtsel, trägt „Bonheur“ (Glück) in den Raster ein, wenig später „Voyage“. Vor Reisen graut es dem bodenständigen Beamten allerdings, er gönnt sich am Holztisch der Küche Perlhuhn mit Sauerkraut: nur nicht zu viel aufregen, nicht einmal dann, wenn ein Unbekannter durchs Fenster lugt.

Verbeugung vor Commissaire Maigret

Depardieu spielt den Kommissar schnaufend, keuchend, überlegen(d), mit hintersinnigem Witz und altmodischem Charme. Chabrols Bellamy sagt: „Ich lebe in der Vergangenheit“, er ist eine offensichtliche Verbeugung vor Commissaire Jules Maigret, jener pfeiferauchenden Institution des französischen Krimis, mit der Georges Simenon insgesamt 75 Romane ausgefüllt hat. Kommissar Bellamy ist ein Spiel mit ruhenden Oberflächen und tosenden Unterströmungen: Chabrol baut seinen Film um die gleichermaßen gemütliche wie enigmatische Figur des Bellamy, lässt ihn die Geschwindigkeit der Handlung bestimmen.

Mord, Ehebruch, ein Killer in seinem Versteck: In seiner Regisseurkarriere hat Chabrol zwar häufig mit den Topoi des Kriminalfilms geliebäugelt, dessen strammen Gesetzmäßigkeiten allerdings wollte er sich nie anpassen. Dafür war er immer schon zu sehr „auteur“. Die Gefühlslagen seiner Figuren transzendieren jedwedes Genre-Gerüst: Wo etwa in seiner Thriller-Versuchsanordnung Champagnermörder (1967) emotional ausgehöhlte Bürgerliche durch die kalt aneinander geschnittenen Handlungsfragmente stolperten, ergreift der profunde und warmherzige Humanismus von Bellamy selbst die Verbrecher dieser Welt, die ihre Motive und ihr Herz vor dem Kommissar ausschütten.

Sagt der Mörder: „Ich fand eine gewisse Würde darin, mich selbst zu verachten.“ Fügt der Regisseur an: „Es gibt immer noch eine Geschichte. Da ist mehr als das Auge sieht.“ Dieses Zitat des britischen Dichters W.H. Auden schließt für Chabrol eine Klammer um die „deux Georges“, denen er Bellamy gewidmet hat: Simenon, der seinen Maigret immer bis zum Kern der Wahrheit vordringen ließ; und Brassens, der seine poetischen Chansontexte mit allerlei Doppelbödigkeiten versah, die sich nichtfranzösischen Hörern wohl kaum erschließen.

„Was bedeutet es, anständig zu sein?“

Chabrol mag Rätsel, liebt es, wenn er die ganze Kraft des Kinos darauf verwenden kann, den Zuseher zu verblüffen. Kommissar Bellamy ist aber mehr als die Hommage, es ist auch ein Familienfilm: Chabrols Sohn Thomas spielt eine kleine Rolle, sein anderer Sohn Matthieu zeichnet für die (elegante) Filmmusik verantwortlich, seine Frau Aurore beaufsichtigt wie immer das Drehbuch. Im Film muss sich Kommissar Bellamy (derjenige, der immer Glück hat) mit seinem aufbrausenden Halbbruder Jacques (der immer Pech hat: Clovis Cornillac) auseinandersetzen, und kommt irgendwann zu der Erkenntnis: „Es ist, als wäre er ich.“ Gerade in einer Zeit der gegenseitigen Schuldzuschreibungen und fortschreitenden Entsolidarisierung tut das Kino von Claude Chabrol gut: „Was bedeutet es, anständig zu sein?“, heißt es darin. Und niemand hat eine Antwort darauf.

ERSTE ZUSAMMENARBEIT

Claude Chabrol und Gérard Depardieuarbeiten in „Kommissar Bellamy“ erstmals zusammen – schier unglaublich angesichts ihres Fleißes! Regieveteran Chabrol hat in 50 Jahren 58 Spielfilme (und noch einiges, etwa im TV) inszeniert; Star Depardieu absolvierte seit 1967 über 160 Auftritte in Film und TV.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.