Harry Potter: Im sechsten Teil lernt er Biochemie

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Die vorletzte und schwierigste Verfilmung der Zauberschülersaga, "Harry Potter und der Halbblutprinz", konzentriert sich auf Säfte, Gifte, Liebelei und Erwählung.

Ich habe noch nie so sehr begriffen, wie wunderschön dieser Ort ist.“ Harry Potter sagt das, von den Zinnen des Schlosses Hogwarts blickend, ganz am Schluss, nach der Ermordung des guten Direktors Dumbledore. Alles scheint vorbei, nur die Schule steht noch: ein massiver Zufluchtsort aus Stein und Tradition, wo alles andere aus den Fugen ist.

Harry Potter liebt die Schule, sein Möchtegernkontrahent Draco Malfoy hasst sie ganz explizit: Auch so äußert sich die immer schärfere Zuspitzung der Story, die immer klarere Trennung in zwei Lager, in Gut und Böse. Es macht einen Reiz der Potter-Saga aus, dass Autorin Joanne Rowling ihre Abneigung gegen solchen Manichäismus spüren lässt, dass sie Verwandtschaften zwischen Gut und Böse sucht, bis hin zu ihrem wunderbaren Satz über Harry Potter: „Hogwarts war das erste und beste Heim, das er gekannt hatte. Er und Voldemort und Snape, die verlassenen Buben, sie alle hatten dort ein Heim gefunden.“

Snape bleibt kalt, leer und böse

Dieser Satz ist aus dem siebten, letzten Buch, in dem sich nach gehörigem Blutzoll alles in Wohlgefallen auflöst. Filmisch sind wir nun beim sechsten Teil angekommen, dem wirrsten, erzählstrategisch schwächsten, in dem viele Handlungsfäden nur gelegt werden, damit sie im letzten Band gebündelt werden können. Sein Schluss ist auch ein mörderischer Trugschluss: Der sinistre Lehrer Snape ist als Mörder Dumbledores eindeutig auf der dunklen Seite. Im siebten Band wollte Rowling ihn rehabilitieren, als zerrissenen Doppelagenten darstellen, es ist ihr nicht wirklich gelungen.

In den Filmen ist Severus Snape – dargestellt von Alan Rickman – gar kein Charakter, nur eine Maske: ein bleicher, großlippiger, starräugiger Flüsterer, der stets das Böse schafft. Bestenfalls ein williges Werkzeug. Rowling versuchte wenigstens, ihn mit einem Hauch von Motiv auszustatten, wenn sie ihn etwa im Showdown mit Potter „Nenn mich nicht Feigling!“ brüllen ließ; im Film ist er nur kalt und leer.

Den anderen „verlassenen Buben“, Tom Riddle alias Lord Voldemort, sieht man in dieser Folge nicht in seiner grässlichen, nasenlosen Maske, sondern – im Rückblick – als schüchternen Buben. Doch seine Augen sind weniger leer als traurig, „I think I'm different“, sagt er tonlos zum jovialen Lehrer Horace Slughorn (das nuancierteste Schauspiel dieses Films: Jim Broadbent) – und bittet ihn, ihn in die schwarze Magie einzuweihen. Harry Potter, in aufklärerischer Mission, wiederholt diese Bitte in der Gegenwart: eine gut konstruierte Parallele.

Zwei, die sich „Erwählte“ nennen

Auch Harry Potter bleibt freilich beinahe gesichtslos. Daniel Radcliffe spart mit Mimik – was, abgesehen davon, dass man sich schon daran gewöhnt hat, auch eine Interpretation sein könnte: Auch sein Harry Potter ist im Wesentlichen nur ein Werkzeug, des Guten diesfalls. „Wie sehe ich aus?“ fragt er einmal, die Antwort ist treffend: „Exceptionally ordinary.“ Im sechsten Teil setzt sich die Bezeichnung „der Erwählte“ („the chosen one“) durch, es bleibt kein Zweifel daran, dass ihn die Erwählung überfordert. Erst kurz vor dem Finale sagt er halbwegs mit Verve: „Yes, I'm the chosen one.“

Sein Schulfeind Malfoy maßt sich von Beginn an denselben Titel an: Er bleibt in der Darstellung Tom Feltons nur unsympathisch, ein Angeber, der im Weg steht, bis die eigentlichen Gegner kommen: Tom Riddle und Snape. Dieser auch in Form eines alten, zerlesenen Zaubertrank-Lehrbuchs, dessen Autor sich „Halbblutprinz“ nennt: Wie die anderen „verlassenen Buben“ Harry Potter und Tom Riddle ist Snape ja „Halbblut“, hat nur einen Elternteil mit magischen Kräften. Entsprechend wird Harry von Slughorn – schon bevor Snapes Autorenschaft aufgedeckt wird – als „prince of potion“ bezeichnet: Böse und Gut kochen nach denselben Rezepten.

Und auf die Rezepte kommt es an, auf die Tränke, auf die Säfte, auf die Chemie. Das Drehbuch konzentriert sich auf dieses Motiv: Der Lehrsaal ist liebevoll als verstaubtes Chemielabor eingerichtet, es wird geschüttelt, gekocht und gekostet. Und vergiftet. Der gute Ron Weasley – der, gespielt von Rupert Grint, immer mehr aussieht wie eine keltische Ausgabe des jungen Mick Jagger – wird, bevor er einem ernsteren Anschlag fast erliegt, mit einem Liebestrank so verwirrt, dass er sich untersteht, mit der hübschen Lavender körperlich zu werden. Was seine ihm von Rowling vorbestimmte Lebenspartnerin, die kluge Hermione – gewohnt zaubernd und bezaubernd: Emma Watson –, gar nicht freut: Erst im Krankenbett findet er wieder auf den rechten Weg, der ja im Epilog in die Ehe münden soll.

Das Bild Hormone = Zaubertränke ist offensichtlich. Die Harry-Potter-Saga ist ja nicht zuletzt eine Geschichte über die Pubertät, wenn vor allem Harry selbst die meiste Zeit nicht wirklich versteht, was da mit ihm geschieht, steht das auch für die Nöte dieser Lebensphase.

Schlechtes Wetter in Zauber-England

Die bei mindestens genauso schlechtem Wetter stattfindet wie in den früheren Folgen: Schon der Vorspann ist so vernebelt, dass man sich gar nicht wundert, wenn die schrecklichen Dementoren aus dem Himmel über London erdwärts rasen; gleich bei der ersten Zauberreise landet Harry bei schwerem Regen in einem Sumpf; die ersten Zusammenbrüche spielen in einer stillen, kargen Schneelandschaft.

Eine wichtige Nebenrolle spielt (wie schon in den ersten beiden Potter-Filmen) die Kathedrale von Gloucester: Ihre gotischen Gewölbe verstärken das quasireligiöse Flair. Wenn Dumbledore seine Ansprache hält, wirkt er wie ein Priester bei der Predigt. Dass für mindestens zwei Szenen Kreuze in die Landschaft gestellt wurden, ist freilich rein dekorativ zu verstehen. Dagegen das mannshohe Kornfeld, durch das Harry und Ginny (auch programmatisch ausdruckslos: Bonnie Wright) laufen, fast verliebt, fast erwachsen, fast verloren: ein schönes Bild. Viel schöner als all die Flammenwände und Untotenattacken. Fast so schön wie der Blick von der Schule auf die Schule, auf das Leben.

ZUM FILM

Regie geführt hat – wie bei der fünften Folge – David Yates. Er wird auch die letzten beiden Filme drehen: Der siebte Band der Serie („Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“) wird aufgrund des Reichtums der Handlung in zwei Teilen verfilmt.

Filmstart ist in den USA, in Großbritannien und auch in Deutschland und Österreich am Mittwoch, dem 15.Juli. Der Film dauert 153 Minuten. In IMAX-Kinos wird eine Fassung mit zwölf Minuten in 3-D gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2009)

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