"Dschungelbuch": Bilder für den Desktop-Hintergrund

The Jungle Book
The Jungle Book(c) Disney
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Disneys neues "Dschungelbuch" überwältigt mit dem Detailreichtum seiner Digitalwildnis und ist dabei zum Teil etwas zu verliebt in die eigene Pracht. Am Ende findet der Film aber doch den richtigen Ton.

Jeder kennt das „Dschungelbuch“ – aber die wenigsten haben es gelesen. Im kollektiven Bewusstsein wurde Rudyard Kiplings Kinderbuchklassiker schon längst vom kultigen Disney-Zeichentrick aus dem Jahr 1967 überlagert. Kiplings Mär vom Wolfsjungen Mowgli und seinen tierischen Gefährten ist düster, wild und mythenschwanger. Es geht nicht zuletzt ums Fressen und Gefressenwerden. Im Vergleich dazu erscheint die Disney-Version eher als Schunkel-Buch: Ein fröhlich-beschwingter Singsang-Spaziergang durch bunte Urwaldwelten, ein Abenteuer ohne wirkliche Gefährlichkeit. Aus Balu dem Bären – in der Vorlage ein strenger Erzieher junger Wölfe, dem mitunter die Pranke ausrutscht – wurde ein tanzfreudiger Hedonist, der seinen menschlichen Pflegling musikalisch dazu anhält, es mit „Ruhe und Gemütlichkeit“ zu probieren. Der alte, weise Python Kaa verwandelte sich in eine lispelnde Slapstick-Schlange. Aber in diesem unbeschwerten Umgang mit dem Ausgangsmaterial liegt wohl auch der Grund für die anhaltende Popularität des Trickfilms.


Mit Referenzen gespickt. Die werkgetreueste Fassung des „Dschungelbuchs“ kommt aus Sowjetrussland, wo in den späten Sechzigern eine fünfteilige Animationsserie entstand. Disney selbst produzierte 1994 eine Realverfilmung mit menschenorientiertem Actionabenteuerplot – Tiere sind bekanntlich äußerst schwierige Schauspieler. Dieses Problem hat der aktuelle Blockbuster-Neuaufguss der Geschichte von „Iron Man“-Regisseur Jon Favreau nicht: Er ist nämlich fast vollständig am Computer entstanden.

Favreau und sein Team hatten die Aufgabe, Fans des Original-Trickfilms zufriedenzustellen, ohne selbigen abzupausen – angesichts dessen loser, episodischer Struktur ohnehin nicht ratsam. Sie entschieden sich für einen Mittelweg: Der neue Film bedient sich verschiedenster Versatzstücke aus allen „Dschungelbüchern“ und zimmert daraus eine mit Referenzen gespickte, aber doch eigenständige Dramaturgie.

Mowgli (Neel Sethi, einziger Darsteller aus Fleisch und Blut) begegnet uns hier nicht als täppischer Knirps, sondern als geschicktes und ehrgeiziges Wildkind. An der Seite seiner jungen Wolfsbrüder meistert er jeden Dschungel-Parcours mit Bravour, auch wenn sein Panther-Mentor Bagheera (Ben Kingsley) keinen Patzer unerwähnt lässt. Als eine große Dürre die ganze Urwald-Menagerie zur Wasserstelle treibt, wird Mowgli vom Tiger Shere Khan (furchteinflößend: Idris Elba) als gefährlicher Fremdling denunziert. Um sich und seine Freunde zu schützen, macht er sich auf die Suche nach dem nächsten Menschendorf.


Bedrohlicher Affenkönig. Favreaus Film überzeugt zuvorderst als technische Leistungsschau. Der Detailreichtum der Digitalwildnis ist überwältigend („Mehr als 100 Millionen verschiedene Blätter!“, prahlt das Marketing), wenngleich der Film etwas zu verliebt ist in seine eigene Pracht. Jedes Bild ein Desktop-Hintergrund, da bleibt die Wildheit auf der Strecke – manchmal fühlt man sich sogar an Zoltan Kordas schillerndes Technicolor-„Dschungelbuch“ (1942) erinnert. Bei den Tieren hat man sich um ein fotorealistisches, anatomisch korrektes Design bemüht. Einziger Nachteil: Die Gesichter wirken etwas ausdrucksarm. Bill Murray schafft es trotzdem, Balu schelmischen Charme zu verleihen, und Scarlett Johansson hat einen kurzen, aber eindringlichen Auftritt als Kaa.

Natürlich dürfen auch die Songs aus dem Original nicht fehlen. Zumindest an einer Stelle bringt das die Balance zwischen Ernst und Leichtigkeit, den die Filmemacher anstreben, durcheinander. Affenkönig Louie (eine Disney-Erfindung und damals Stein des Anstoßes für Rassismusdebatten) ist in dieser Version ein bedrohlicher Primaten-Diktator – auf Englisch gesprochen von Christopher Walken. Trotzdem muss er die quietschfidele Dixieland-Nummer „Ich wär so gern wie du“ zum Besten geben: Ein Stimmungsparadoxon. Am Ende trifft der Film aber den richtigen Ton: Beim feurig-finsteren Showdown mit Shere Khan wird es nochmal richtig spannend, und ein Kipling-Zitat aus dem „Gesetz des Dschungels“ ertönt als Schlüsselsatz: „Die Stärke des Packs ist der Wolf, und jene des Wolfs ist das Pack.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)

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