Filmbiographie: Tanz den Politikverdrossenheits-Pop!

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Opportunismus, Korruption und Machtmissbrauch in der italienischen Politik: Das hat Tradition. „Il divo – Der Göttliche“ belustigt sich an der geheimen Geschichte des Berlusconi-Vorgängers Giulio Andreotti.

Vorsicht, dieser Mann führt Sie hinters Licht! Italiens mehrfacher Ministerpräsident Giulio Andreotti erhebt sich vom Küchentisch – und sein Kopf verschwindet hinter einer tief gehängten weißen Lampe, die wie eine leere Comic-Sprechblase inmitten der Einstellung hängt. In der Andreotti-Filmbiografie Il divo – Der Göttliche geht es Regisseur Paolo Sorrentino um solche ausdrucksstarken, allegorischen Bilder, nicht um die Geschichte.

Der ist nämlich kaum zu folgen, selbst wenn man mit Andreottis Historie vertraut ist: Er bleibt das ruhige (Macht-)Zentrum in einer Flut von Personen und Situationen, die zwar in Dutzenden begleitenden Texteinblendungen erläutert werden – aber die fast noch schneller verschwinden als die Figuren selbst. Wie in der fetzigen Eröffnung: eine mehrminütige Montage von Hinrichtungen zu treibender Rockmusik, in der es um den Effekt geht, nicht den Inhalt. Die zynische Schlusspointe setzt der stilbewusste Filmemacher höchstpersönlich: Nach einer kleinen Kunstpause im Rhythmus liefert eine MG-Salve in den Körper des von den Roten Brigaden entführten Andreotti-Vorgängers Aldo Moro 1978 den letzten Takt.

29 Anklagen – und 29 Freisprüche

Schuldgefühle wegen der Moro-Affäre sind die einzige Emotion, die Sorrentino seinem „Göttlichen“ zugesteht: Sonst zeigt er ihn als eine Art Axiom des korrupten italienischen Systems, inszeniert ihn konsequent als dessen Verkörperung und Mittelpunkt. Kontext und Biografie werden allenfalls angerissen, ein paar Zahlen reichen aber, um eine Ahnung von Andreottis Einfluss zu geben, den er durch ein Privatarchiv brisanter Informationen und Verbindungen ausbaute: Seit dem Einzug in die Politik gleich nach dem Zweiten Weltkrieg war Andreotti 25-mal Minister und siebenmal italienischer Ministerpräsident. Außerdem wurde er 29-mal angeklagt – und ebenso oft freigesprochen.

Das ist die eigentliche Stoßrichtung von Il divo: Andreotti, der Dunkelmann, dem alles nachgesagt wurde – Mafiaverbindungen, Involvierung in Geheimlogen, Schmiergeldaffären, Mord-, Putsch- und sonstige Pläne. Juristisch nachzuweisen war ihm nichts: Diesen Jänner feierte Andreotti im Familienkreis seinen 90. Geburtstag – als Senator auf Lebenszeit. Wozu man ihn übrigens 1991 ernannt hatte: knapp ein Jahr vor Ende seiner siebten und letzten Amtszeit als Ministerpräsident. Da war die berüchtigte „Tangentopoli“-Schmiergeldaffäre in Mailand in aller Munde, aber vor allem die endgültige Eskalation der Mafiasituation brachte Andreotti in die Bredouille – nach 28 vergeblichen Anläufen wurde so erstmals seine diplomatische Immunität aufgehoben. Il divo behandelt vor allem diesen Abschnitt der Laufbahn, aber eigentlich gibt es keine (historische) Entwicklung in dem Film: Stattdessen variiert er ein ums andere Mal groteske Tableaus der Erstarrung.

„Ich glaube nicht an Veränderung“, sagt auch Andreotti, von Toni Servillo mit bemerkenswertem Minimalismus verkörpert: Eine gebückte (Wachs-)Figur wie aus einer Horrorgroteske, mit ausdruckslosem, zunehmend aschfahlem Antlitz durch die Korridore der Macht huschend. Der Göttliche ist stets Zentrum der Kompositionen, um das sich die anderen Charaktere wie willfährige Marionetten gruppieren (wenn sie das nicht tun, wie die Chaoten im Parlament, werden sie einfach sonnengottgleich ignoriert). Das ist so selbstbewusst wie manieriert in Szene gesetzt, als Serie von Videoclips: Aber eine Abfolge wild durcheinandergewirbelter Karikaturen reicht nicht zur Politsatire. Geboten wird eher ein kurioses Kasperltheater mit prominentem Puppenensemble, das alle Vorurteile über Italiens Politik bestätigt.

Wo der zeitgleich entstandene Mafiafilm Gomorra die aufklärerische Tradition des italienischen Politkinos beschwor, belustigt sich Il divo an Verschwörung und Verdunkelung. Der Spott wirkt mehr opportunistisch als kritisch, folgt dem aktuellen Filmtrend, die Politikverdrossenheit von heute in die Vergangenheit zu projizieren. Angesichts der von Sorrentino sorgfältig ausgesuchten Musikstückerln – von Fauré zu „Da da da“ von Trio – wirkt das fast wie eine Einladung: Tanz den Politikverdrossenheits-Pop! Man wird das Gefühl nicht los, dass einen Sorrentino nicht weniger hinters Licht führen will als Andreotti einst oder Berlusconi jetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2009)

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