"A Bigger Splash": Urlaub im Moralvakuum

A Bigger Splash
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Ralph Fiennes und Tilda Swinton im Remake des Kultfilms „La Piscine“ sind weniger sexy als Alain Delon und Romy Schneider, aber ebenfalls markant.

Bald 50 Jahre ist es her, dass sich Romy Schneider und Alain Delon in Jacques Derays „La Piscine“ am Schwimmbeckenrand in die Arme fielen und so die Kinosäle dieser Welt zum Knistern brachten. Derays Film genießt immer noch Kultstatus, doch das liegt kaum an seiner streitbaren Qualität als Psychodrama mit Krimi-Anwandlungen. Grund ist vielmehr die erotische Magie der beiden Hauptdarsteller, deren halb nackte Körper in der südfranzösischen Sommersonne glitzern wie glacierte Mannequins. Schöne Menschen machen Urlaub im moralischen Vakuum: Das passte gut zum Zeitgeist der späten Sechziger. Zudem beflügelte die laszive Leinwandpaarung Klatschfantasien weltweit – einige Jahre zuvor waren Schneider und Delon noch in einer Beziehung gewesen.

Filme, deren Aura so sehr an Schauspieler gebunden ist, dienen sich nicht unbedingt als Remake-Material an. Dennoch liefert der Italiener Luca Guadagnino mit „A Bigger Splash“ nun eine Variation auf „La Piscine“ (und dessen Romanvorlage von Alain Page). Tatsächlich muss ihn etwas an der Geschichte fasziniert haben: Es geht zwar immer noch um verhängnisvolle Begierde, aber die Ausschlachtung erotischen Potenzials steht nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen versucht Guadagnino, den Figuren Tiefe zu verleihen – mit einer Besetzung, die zwar nicht ganz so sexy ist wie damals, aber dennoch markant.

Swinton als ruhebedürftige Rockgöttin

„A Bigger Splash“ verlagert die Handlung von der Côte d'Azur auf die zwischen Sizilien und Tunesien gelegene Mittelmeerinsel Pantelleria. Heiß ist es auch dort, aber mit mehr Wind und wilderer Vegetation – wie geschaffen für Gefühlsentfesselung. Dabei will sich das zentrale Paar – verkörpert von Matthias Schoenaerts („Der Geschmack von Rost und Knochen“) und Edelmimin Tilda Swinton, die schon 2009 in Guadagninos Mailand-Melodram „I Am Love“ brillierte – eigentlich nur erholen. Marianne hat eine Stimmbandoperation hinter sich und als Rockgöttin – in kurzen Rückblenden sehen wir sie als weiblichen Bowie über die Bühne laufen – eine Pause eingelegt. Die Vokalhemmung war ein Einfall Swintons, der im ursprünglichen Drehbuch nicht vorgesehen war, aber durchaus symbolisch aufgefasst werden kann: Die wilde Zeit ist verklungen, Marianne sehnt sich nach einem neuen, ruhigeren Leben mit dem Dokumentarfilmer Paul. Doch das Urlaubsidyll der beiden wird jäh unterbrochen, als Mariannes ehemaliger Produzent und Liebhaber Harry (Ralph Fiennes) aus heiterem Himmel in die Szenerie platzt. Vor Kurzem hat er seine Tochter Penelope („50 Shades of Grey“-Star Dakota Johnson in der damaligen Jane-Birkin-Rolle) kennengelernt und ist nun mit ihr unterwegs durch Europa, um verpasste Familienfreuden nachzuholen – einen Abstecher zu seiner alten Partnerin kann er sich dabei nicht verkneifen.

Harry ist als Rock'n'Roller alter Schule eine Urgewalt – Spaßkanone, Hedonist und Quasselstrippe in einem bärtigen Gesamtpaket. Fiennes, den man sonst eher aus gediegeneren Rollen kennt, wirft sich mit jeder Faser seines Körpers in die Darstellung des Lebemanns. In einer tollen Szene liefert er eine ekstatische, zuckende Tanzeinlage zu „Emotional Rescue“ von den Rolling Stones – ein dankbares Motiv für Guadagninos schwungvoll-stylishen Inszenierungsstil. Harrys Präsenz wirbelt Staub auf: Paul, nach einem Selbstmordversuch trockener Alkoholiker, fühlt sich trotz früherer Freundschaft zu Harry von dessen ungestümer Gegenwart an den Rand gedrängt. Außerdem gibt es Grund zur Annahme, dass die Leidenschaft zwischen Marianne und dem Sanguiniker nicht ganz erloschen ist. Als die frühreife Penelope beginnt, Paul schöne Augen zu machen, öffnet sich das Fenster für eine Revanche.

Im Grunde lässt sich nicht wirklich festlegen, wer im Mittelpunkt von „A Bigger Splash“ steht – erst über die komplexe Vierecks-Konstellation erhalten die Figuren dramatisches Gewicht. Sie sind alle grundverschieden, fordern sich gegenseitig heraus, und in den Charakterduellen werden psychologische Schichten freigelegt, die man zunächst gar nicht vermutet hätte. Der Blick auf Harry wendet sich etwa ins Tragische, als klar wird, dass seine Faxen bloß die Angst vor dem Alter überspielen sollen. Nicht nur Fiennes überzeugt: Schoenaerts kauft man den brütenden Introvertierten gut ab, und Swinton setzt mangels Stimme auf pantomimische Ausdruckskraft. Bloß Johnson bleibt etwas hinter den anderen zurück.

Was dem Film allerdings fehlt, ist die emotionale Konsequenz für eine eindringliche Auflösung. Nach dem obligatorischen Mord wechselt Guadagnino in den Tonfall einer Farce, mit dem Satiriker Corrado Guzzanti als nachlässigem Italo-Ermittler (die spöttische Darstellung des sizilianischen Polizeiapparats erntete bei der Venedig-Premiere des Films Buhrufe von der italienischen Presse). Der Versuch, der mediterranen Nabelschau in letzter Minute eine politische Dimension abzuringen, indem das Flüchtlingsthema angeschnitten wird, wirkt überdies mehr als forciert. So fragt man sich am Ende, worauf „A Bigger Splash“ eigentlich hinauswollte – und warum er nach einem David-Hockney-Gemälde benannt ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2016)

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