"Inglorious Basterds": Tarantino, Trash & Triumph

Martin Wuttke als Adolf Hitler
Martin Wuttke als Adolf Hitler(c) Universal (Francois Duhamel)
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Quentin Tarantinos infantil-intellektuelle Weltkriegsfantasie ist irgendwie genial, irgendwie idiotisch - und sehr geschwätzig. Als Unterhaltung bietet Inglourious Basterds schräge Fantasy und amoralisches Amüsement.

Operation Kino. Das ist der Titel des vierten Kapitels von Quentin Tarantinos Weltkriegsepos Inglourious Basterds und – im Film selbst – der Name einer Mission, die den Verlauf der Geschichte ändern soll: ein Attentat auf die Führungsriege des NS-Regimes, Hitler inklusive, bei einer Filmpremiere in Paris.

Aber die eigentliche Operation Kino, das ist natürlich Inglourious Basterds selbst: Tarantino, der notorische Filmbesessene, treibt hier seine notorische Filmbesessenheit noch ein Stück weiter – das Böse wird einfach vom Kino besiegt. (Das merkwürdige Bekenntnis zur Cinephilie ist rührend buchstäblich: Einer der zwei Bombenpläne gegen Hitler wird sogar durch die Entzündung leicht entflammbarer alter Nitratfilme herbeigeführt, mit einer erklärenden Abschweifung des Erzählers zum Thema.) Als Idee ist es irgendwie genial und irgendwie idiotisch, wie vieles an diesem widersprüchlichen Entertainment – das die Begabung und Vorlieben seines Schöpfers schlagend demonstriert, im Guten wie im Schlechten.

Als Unterhaltung bietet Inglourious Basterds schräge Fantasy und amoralisches Amüsement – also die Quintessenz von Hollywood, obwohl Tarantino gewohnt genüsslich mit einigen Faustregeln der Traumfabrik bricht: So wird in der Originalversion mehr Deutsch und Französisch gesprochen als Englisch, was viele sprachspielerische Kabinettstücke ermöglicht (die Synchronfassung ruiniert einige unweigerlich wieder, weil auch das Englische auf Deutsch übersetzt ist). Die Dialoge, Tarantinos Markenzeichen, sind zwar wieder bis zum Exzess überdehnt, aber teilweise natürlich brillant. Der Enthusiasmus der Schauspieler ist ansteckend. Ohne dass besonders Aufhebens darum gemacht wird, gibt es formal radikale Experimente: Etwa, dass dieser zweieinhalb Stunden lange Film aus erstaunlich wenigen Szenen besteht, der Großteil davon klaustrophobische, doppelbödige Wortwechsel in Innenräumen – nicht eben, was man mit den „dirty war movies“ wie Das dreckige Dutzend und seinen Nachfolgern assoziiert, die hier deutlich Pate standen.

Ein Euro-Nachzügler dieser Kriegsfilmwelle (Enzo G. Castellaris Reißer Inglorious Bastards von 1978) wird von Tarantinos Titel verballhornt, mit typischer orthografischer Unbekümmertheit (hier liegt Hitlers Privatresidenz in „Burstich Garden“) – aber ein Genre ist diesem Regisseur nie genug: Als pralles postmodernes Pastiche und als Übung in übertriebenem Filmwissen ist das Resultat so faszinierend wie anstrengend. Die Geschwätzigkeit, die man Tarantinos ausgedehnten Dialogen vorwirft, hat längst sein ganzes Kino erfasst: Noch die hintersten Bildwinkel und beiläufigsten Zwischentöne sind mit Verweisen vollgestopft – auch dann, wenn sie herzlich wenig bringen. Der Teenager in Tarantino ist hier genauso wenig zu übersehen wie bei seinem notorischen Hang zum brutalen Cartoon und dem Grundkonzept des Films. Aber ein Teil von Tarantinos Kunst ist es, seine kindischen und fachidiotischen Fantasien unweigerlich bis zur Zweischneidigkeit zu übersteigern.

Brillante Bosheit: Christoph Waltz

So beginnt dieser kuriose Kriegsfilm als Märchen und Italowestern: „Es war einmal im Nazi-besetzten Frankreich...“ heißt das erste der fünf Kapitel frei nach Sergio Leone, dessen Westernklassiker Spiel mir das Lied vom Tod als Modell dient, um – in Echtzeit – den wirklichen Star vorzustellen: einen SS-Oberst namens Hans Landa, brillant verkörpert vom (dafür in Cannes verdient ausgezeichneten) Österreicher Christoph Waltz. Sein bodenständiges Gegenüber schlägt er mit augenzwinkernder Bonhomie und elegantem Geschwätz in seinen Bann, bevor er seine ganze Bosheit offenbart. Und nebenbei die Konventionalität, die Inglourious Basterds allem Einfallsreichtum (und großmäuligen Versicherungen aller Beteiligten) zum Trotz doch auch bedient. Landa ist die amüsanteste Kreation des Films – und doch nur die charismatische Variante eines Hollywood-Klischees: der glamouröse Nazi.

Ein langes und (wörtlich) doppelbödiges Gespräch, dann abrupte Gewalt: Die Eröffnungsszene spielt das Inszenierungsprinzip des Films virtuos durch, jedes weitere Kapitel variiert es anders (und weniger gelungen – in der Fabulierfreude geht die Dichte verloren). Als Heldin entpuppt sich eine französische Jüdin (Mélanie Laurent), die Landas Massaker überlebt hat und jenes Kino betreibt, in das Hitler (Martin Wuttke) und Goebbels (Sylvester Groth) zur Premiere eines Propagandafilms kommen. Da wollen auch die Basterds des Titels zuschlagen, die – eines von vielen Irreführungsmanövern – hier (samt dem nominellen Star Brad Pitt als Anführer) nur Nebenfiguren sind: eine jüdische Spezialeinheit, die mit „Apache-Taktiken“ wie Skalpieren die Nazis terrorisiert.

Debatte über extreme Rachefantasie

Tarantinos Erfüllung einer extremen jüdischen Wunsch- und Rachefantasie hat in Amerika eine interessante Debatte ausgelöst: Der renommierte US-israelische Journalist Jeffrey Goldberg hat beschrieben, wie er erst begeistert davon war, dann ein schlechtes Gewissen bekam. Härter war die Abrechnung des jüdischen Autors Daniel Mendelssohn in „Newsweek“, der Tarantino vorwarf, im Wesentlichen die Juden zu Nazis zu machen – Mendelssohn selbst macht in seinem sonst lesenswerten Argument allerdings keinen Unterschied zwischen Rache und -fantasie, zwischen Akt und Wunsch.

Was angesichts von Tarantinos Operation Kino wiederum etwas kurz greift: Inglourious Basterds ist weniger Historienfilm als Alternativwelt-Science-Fiction und in seiner fröhlichen Unverfrorenheit ergiebiger als zahllose der rezenten „respektablen“ Filme über den Holocaust, auch da, wo er scheitert. Es ist so befreiend wie irritierend, wenn Tarantino unbekümmert so viel Gegensätzliches in einen Topf wirft, dass man sich den Brechungseffekten nicht entziehen kann: zugleich intellektuelles Konzeptkino und infantile Klamotte, absonderliche Triumphfantasie und abartiger Trash. Ob das so eine ruhmreiche Leistung ist, wie Tarantino & Co. behaupten, sei dahingestellt, aber herausgekommen ist jedenfalls ein beeindruckender Bastard von einem Film.

ZUR PERSON

Quentin Tarantino (*1963 in Knoxville, Tennessee) wurde für seine ersten Spielfilme „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994) als Wunderkind gefeiert. Sein cooler Stil, formal originell und voll mit Filmzitaten, machte ihn zum enorm einflussreichen Regiestar. Weitere Spielfilme: „Jackie Brown“ (1997), der Zweiteiler „Kill Bill“ (2003/4) und „Death Proof“ (2007). „Inglourious Basterds“ kommt am Freitag in die Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2009)

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