„Marshland“: Im postfaschistischen Sumpf

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„Marshland“ zeigt eine Detektivgeschichte im Spanien nach Francos Tod. Der Film erinnert stark an die TV-Serie „True Detective“, seine Handlung ist aber stringenter.

Ein Blick von oben sollte Klarheit schaffen. Doch die Luftbildaufnahmen aus dem Delta des südspanischen Flusses Guadalquivir, die Alberto Rodríguez' Düsterkrimi „Marshland“ spicken, halten keine Antworten bereit. Sie wirken eher wie abstrakte Gemälde. Das passt: Dieser vielfach preisgekrönte Film zeigt das postfaschistische Spanien als politischen und moralischen Sumpf, der sich gegen Klärung sperrt.

1980, fünf Jahre nach Francos Tod, wird der idealistische Ermittler Pedro in ein abgelegenes andalusisches Dorf versetzt, um dort mit dem Ex-Geheimdienstler Juan an einem abgründigen Fall zu arbeiten. Zwei junge Mädchen sind verschwunden, alles deutet darauf hin, dass sie Opfer eines Serienmörders sind. Die Spuren des Franco-Regimes sind in der Provinz noch lange nicht verwischt: In den Hotelzimmern hängen Fotos von Hitler, Mussolini und dem Generalissimo gleich neben dem Kruzifix. Das Protagonistenpaar spiegelt die ideologische Spaltung des Landes: Der integre Pedro macht sich mit seiner strikt prodemokratischen Haltung bei der Stadtverwaltung unbeliebt, der trinkfreudige Macho Juan glaubt nicht wirklich an den Wertewandel und wird beim Verhör gern handgreiflich – ganz wie in den alten Zeiten.

Bedrückende Ästhetik

Nachdem die Leichen in den Untiefen des Marschlandes gefunden worden sind, führen die Nachforschungen zum jungen Schönling und Dorfcasanova Quini (Jesús Castro). Bald wird klar, dass er als Zuhälter für eine Art Geheimbordell tätig ist. Mit der Verheißung eines Auswegs aus dem tristen Kaff verleitet er seine Frauenbekanntschaften dazu, sich für gut betuchte Kunden zu prostituieren. Das nachzuweisen, fällt aber schwer. Die Betroffenen weigern sich auszusagen – zu groß ist die Schande in der nach wie vor erzkonservativen Gesellschaft.

Bleierne Vergangenheit, korrupte Gegenwart schaffen ein Gefühl von Hilflosigkeit, verstärkt durch die bedrückende Ästhetik des Films: ausgeblichene Farben, trostlose Interieurs und öde, weite Landschaftspanoramen, in denen sich die Figuren wie Ameisen verlieren. Das Wetter kennt nur brütende Hitze und strömenden Regen. Periodisch erhellt schummriges Rotlicht wie ein Warnsignal die Einstellungen, und im Hintergrund wabert permanent Julio de la Rosas ominöse Musik. Die Beziehung zwischen Pedro und Juan bekommt in dieser Noir-Atmosphäre zusehends Risse, besonders, als Enthüllungen über Juans Tätigkeit bei Francos Geheimpolizei seinen Charakter in ein wenig schmeichelhaftes Licht rücken.

All das erinnert an die erste Staffel der US-Krimiserie „True Detective“. Zum Teil wirkt es, als hätte man schlicht Louisiana mit Andalusien ausgetauscht – allerdings wurde „Marshland“ schon vor Ausstrahlung der Serie gedreht. Und es gibt markante Unterschiede: Während „True Detective“ (zumindest am Anfang) beachtliche psychologische Tiefe bewies, ist „Marshland“ eher am Plot orientiert. Sein Ermittlerpaar bleibt letztlich eher typenhaft: Das Schauspiel ist solide, aber nicht überwältigend, das flotte Erzähltempo lässt kaum Zeit zur Entfaltung der Hauptfiguren. Dafür ist die Handlung des Films stringent, frei von pseudophilosophischen Untertönen und weit spezifischer in ihrer Kritik an Machtstrukturen. Und ihre Spannungsmomente sind subtiler: Besonders eine nächtliche Autoverfolgungsjagd über staubige Straßen, bei der das flüchtige Vehikel phantomhaft im Scheinwerferlicht flimmert, besticht.

So ist „Marshland“ ein Musterbeispiel für europäisches Genrekino, das sein Setting zum Untersuchungsgegenstand macht und nicht nur als Kulisse nutzt. Was im Sumpf landet, wird konserviert – man braucht es nur auszuheben, und die Geschichte eines Landes kommt zum Vorschein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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