Filmfestspiele Venedig: Fauler Zauber aus Palermo

(c) Filmfestspiele Venedig
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Giuseppe Tornatores Eröffnungsfilm „Baarìa“ bleibt ein belangloser Bilderbogen.

Festivaldirektoren haben keine Wahl: Jedes Jahr aufs Neue müssen sie ihr Angebot in den Himmel loben. Marco Müller, Leiter der Filmmostra, hat sich zwar als Taktierer und Vorkämpfer für vielfältiges Autorenkino einen Ruf von gewisser Radikalität aufgebaut, aber beim Ritual des Starts muss auch er sich an die Regeln halten und die eierlegende Wollmilchsau unter den Ereignissen versprechen: Weder eine „Boutique für den elitären Geschmack“ noch „Anbiederung ans Massenkino“, sagt er am Mittwoch zur Eröffnung der 66. Filmfestspiele Venedig.

Will man es wohlwollend interpretieren, gibt ihm der Eröffnungsfilm recht: Baarìa von Giuseppe Tornatore (Cinema Paradiso)wendet sich ganz sicher nicht an den elitären Geschmack – und ist zu ungeschickt, um sich wirklich ans Massenkino anzubiedern. Tornatore schwebte wohl eine zweieinhalbstündige Hymne an seinen Geburtsort Bagheria nahe Palermo vor (der Filmtitel ist der sizilianische Name der Stadt): Zur Eröffnung saust die Kamera mit einem um Zigaretten laufenden Jungen die Straße hinunter, bevor sie sich magisch in die Lüfte erhebt.

Doch es bleibt fauler Zauber. In nostalgischer Schwelgerei – selbst bittere Armut ist in goldglänzendes Licht getaucht – hat Tornatore vergessen, eine Geschichte zu erzählen. Stattdessen wird in Vignetten zu Ennio Morricones virtuos aufschäumender Orchestermusik ein Klischee ans andere gereiht: So hat man am Ende nicht das Gefühl, eine 50 Jahre umspannende Familienchronik gesehen zu haben, sondern 50 Trailer dafür.

Bitter am belanglosen Bilderbogen ist, dass er ständig das Scheitern an eigenen Ansprüchen in Erinnerung ruft. Das entscheidende politische Engagement der Hauptfigur – gegen das Duce-Regime in den Kinderjahren, für die Kommunisten in der Nachkriegszeit, bis zum historischen Kompromiss der 70er – wird in Lippenbekenntnissen abgehandelt. Indessen verträgt sich die versuchte Volkstümlichkeit gar nicht mit den Hochglanzbildern. Nur die Zitate von Vorbildern wecken wirklich ein Gefühl: Sehnsucht nach den Originalen – sei es die erzählerische Kraft Sergio Leones oder die opernhafte Sozialepik Luchino Viscontis.

Eine Ahnung von der filmischen Intelligenz, die Baarìa schmerzlich fehlt, lieferte dafür ein erster Höhepunkt außer Konkurrenz: In der Fortsetzung [Rec]2 gewinnen die spanischen Schreckspezialisten Jaume Balagueró und Paco Plaza dem Konzept ihres Erfolgsfilms [Rec] neue Dimensionen ab – und zwar wörtlich. Abermals geht es mit Kameras in das verfluchte Haus in Barcelona, dessen Einwohner durch eine mysteriöse Infektion zu gefährlichen Bestien geworden sind. Die audiovisuelle Orchestrierung des Grauens ist abermals mitreißend, aber wo im Vorgänger das Horrorszenario als Ausgangspunkt für clevere Medienkritik diente, geht es diesmal obendrein in faszinierendes metaphysisches Terrain: Der Heereseinsatz gegen das Böse wird von einem Priester geleitet, Licht und Kamera ermöglichen buchstäblich den Zugang in eine unheimliche Parallelwelt. Aber nicht nur die Schlusspointe beweist: Die Illusionsmaschinen sind so verlockend wie verderblich.

Die Woche in Venedig

Filme aus Österreich: Jessica Hausners Wettbewerbsbeitrag Lourdes läuft am Freitagabend, Peter Schreiners Film Totó (im Zweitbewerb „Orrizonti“) am Samstag.

Nicolas Cage, Star in W. Herzogs Remake Bad Lieutenant, wird am Wochenende in Venedig erwartet. Michael Moore stellt seine neue Polemik Capitalism: A Love Story vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2009)

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