„Insel der besonderen Kinder“: Passt gut auf eure Augen auf!

(C) Centfox
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Mit der Jugendbuchverfilmung findet Regisseur Tim Burton beinahe zu alter Form zurück: Sein Kuriositätenkabinett ist eigentümlich und charmant. Nur die viele Action hätte es nicht gebraucht.

Wenn dem Großvater die Augen gestohlen werden, beginnt ein märchenhaftes Abenteuer: Ein Film mit einer derartig schrägen Zusammenfassung kann eigentlich nur von Tim Burton stammen, und das tut „Die Insel der besonderen Kinder“ auch. Der Filmemacher ist Meister darin, das Unheimliche, bisweilen Grausame und Romantische zu wohlig schaurigen Geschichten zu verschmelzen, in denen selbst der Tod oft nur ein nicht enden wollendes Halloweenfest ist.

In seinem neuen Film, im Original „Miss Peregrine's Home for Peculiar Children“, wird der Teenager Jake (Asa Butterfield) nun also Zeuge des gewaltsamen Ablebens seines Großvaters. Da er am Tatort ein Monster gesehen haben will, wird er zur Psychotherapeutin geschickt. Auch sonst passt der ernste, stets dunkel gekleidete Teenager nicht in die pastellfarbene Vorstadtwelt seiner Heimat in Florida. Mit seinem Großvater hat er jene Bezugsperson verloren, die sich nicht an seiner Normabweichung störte. Der alte Mann erzählte ihm immer kuriose Geschichten über ein Waisenhaus voller Kinder mit besonderen Fähigkeiten: einem Idyll, in der Außenseiter eine glückliche Familie sind.

„Defekte“ als Besonderheiten

Um seine Trauer aufzuarbeiten – und weil er Nachforschungen betreiben will –, reist Jake mit seinem Vater, der recht wenig mit ihm anzufangen weiß, in das neblige Wales, die alte Heimat seines Großvaters. Dort gelangt der Teenager durch eine Höhle in das Jahr 1943 und findet tatsächlich das Waisenhaus aus den Erzählungen.

Diese Entdeckung gehört zu den (visuell) schönsten Passagen des Films. Eva Green legt ihre Figur, die Leiterin des Kinderheims, auf reizende Weise ironisch-resolut an. Ihre Schützlinge wirken wie eine Mischung aus Addams Family und X-Men. Ja, sie haben magische Fähigkeiten – aber teilweise sind diese abgewandelte normale „Defekte“: Die federleichte Emma (Ella Purnell), die Bleischuhe trägt, um am Boden zu bleiben, ist im Film nicht magersüchtig, sondern flugfähig. Der hyperaktive Bub hat Bienen im Kopf, und der unscheinbare Knabe ist unsichtbar. Inspiriert zu diesem Kabinett der Kuriositäten wurde Autor Ransom Riggs, der die Vorlage schrieb, von alten Amateurfotos, zu denen er sich Geschichten ausdachte. Im englischen Original gibt es bereits zwei Fortsetzungen. Auf Deutsch erscheint Band eins erst heuer.

Harry Potter und Sigmund Freud

Spürbar ist auch der Einfluss von Harry Potter: In beiden Erzählungen dient der Held als Bindeglied zwischen der „normalen“ und der magischen Welt. Die Grundgeschichte ist indes simpel: Jake entdeckt natürlich eine besondere Fähigkeit an sich und muss die Kinder vor den Monstern beschützen.

In der Rolle des Oberbösewichts gibt Samuel L. Jackson mit spitzen Zähnen und weißen Pupillen eine lustvolle Vorstellung. Er hat es auf die Augen der Kinder abgesehen. Die Furcht vor dem Verlust der Sehorgane sei verdrängte ödipale Kastrationsangst, schrieb Sigmund Freud einst. Hergeleitet hat Freud diese These von E. T. A. Hoffmanns Schauerroman „Der Sandmann“, in dem Kindern die Augen ausgerissen werden. Diese Interpretation mag heute einseitig wirken, aber erwachende Sexualität ist in „Die Insel der besonderen Kinder“ tatsächlich von Bedeutung. Jake verliebt sich im Waisenhaus in Emma, die schon seinen Großvater kannte – und liebte, das wird mehrfach angedeutet. Die Gefühle fanden keine Erfüllung, denn der Großvater verließ einst die Insel und wurde erwachsen. Diese Möglichkeit ist den anderen Kindern verwehrt, denn Miss Peregrine dreht jeden Tag die Zeit zurück und erschafft eine Zeitkapsel, in der die Monster sie nicht finden. Diese Miss Peregrine ist eine Art Helikoptermutter, die ihre Kinder in ewiger Kindheit gefangen hält. Das könnte eine Rolle in einer Fortsetzung spielen . . .

Insgesamt schließt „Die Insel der besonderen Kinder“ an Burtons charmante frühere Werke an. Am Ende jedoch verliert sich das sonst humorvolle Drehbuch von Jane Goldman zu sehr in Action, mit der man glaubt, jede Hollywood-Großproduktion vollstopfen zu müssen, um die jugendliche Zielgruppe bloß nicht zu langweilen. Das geht auf Kosten der bei Zeitreisegeschichten ohnehin immer brüchigen Logik. Erstaunlicherweise entfaltet der 3-D-Effekt, der meist für wilde Kamerafahrten und Kampfspektakel genützt wird, gerade in einer Szene der Entschleunigung seinen Reiz: Miss Peregrine stoppt im Regen die Zeit – und die Tropfen bleiben glitzernd im Raum stehen. Als würde man selbst im Sternenhimmel schweben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2016)

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