Filmmuseum: Iranisches Kino der Lücken

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Er liebte Leerstellen, Unfertiges, die Konfrontation zwischen Kino und Realität: Eine Retrospektive würdigt den im Juli gestorbenen Regisseur Abbas Kiarostami.

In „Ein unfertiges Kino“, einem Essay zum Hundert-Jahr-Jubiläum des Films (1995), schrieb der iranische Regisseur Abbas Kiarostami: „Es stimmt, dass Filme ohne Handlung beim Publikum unbeliebt sind, aber auch eine Handlung erfordert Lücken: Leerstellen wie beim Kreuzworträtsel, Hohlräume, deren Befüllung dem Zuschauer überlassen wird.“ Lücken aller Art sind ein Kernelement von Kiarostamis Schaffen: Abstände zwischen Ideal- und Realzuständen, unterschiedlichen Perspektiven und Weltbildern, dem, was man sieht, und dem, was verborgen bleibt. Das Besondere an diesem philosophisch-selbstreflexiven Moment ist seine Natürlichkeit: Nie wirkt es aufgesetzt oder verkrampft, sondern erwächst wie von selbst aus lebenslyrischen Erzählungen.

Mit dieser komplexen Einfachheit brachte Kiarostami in den Neunzigern frischen Wind ins Weltkino – und rückte die reiche, aber lang vernachlässigte Filmkultur des Iran ins Licht. Das Filmmuseum und die Wiener Filmakademie planten für Ende 2016 eine Werkschau in Anwesenheit Kiarostamis, doch dessen Krebstod im Juli kam dazwischen – so wird er nun von 11. bis 30. November mit einer kleineren Hommage gewürdigt. Sein filmisches Œuvre reicht in die Siebziger zurück: Der Werbemacher und ausgebildete Kunstmaler wurde dank seiner ambitionierten, zuweilen auch autoritätskritischen Bildungsfilme für die staatliche Vereinigung zur Förderung der intellektuellen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen zu einer Hauptfigur der iranischen Nouvelle Vague. Diese selten beleuchtete Schaffensperiode ist leider nicht Teil der Schau; ihr Ansatzpunkt „Wo ist das Haus meines Freundes?“ (1987) wirkt allerdings wie deren Nachhall.

Im Khomeini-Regime unpolitisch

Der Film folgt einem kleinen Jungen aus dem nordiranischen Bergdorf Koker, der sich entgegen elterlicher Weisung von zu Hause fortstiehlt, um einem Klassenkameraden dessen unabsichtlich eingestecktes Schulheft zurückzubringen. Die Stationen seiner Mini-Odyssee entfalten ein subtil satirisches Sittenbild voller poetischer Punktierungen zwischen Tragik, Komik und schlichter Schönheit – und am Ende birgt der flüchtige Anblick einer zerknitterten Blume den ganzen Humanismus des Kinos. Im Unterschied zu vielen seiner Regiekollegen (und Nachfolger wie Jafar Panahi) gab sich Kiarostami nach der Islamischen Revolution betont unpolitisch und fügte sich Zensurvorgaben, um in seiner Heimat weiterarbeiten zu können. Einige warfen ihm Opportunismus vor – doch gerade seine Skizzen eines „menschlichen“ Iran abseits des Schurkenstaat-Klischees ebneten der ausländischen Rezeption vieler regimekritischer Arbeiten den Weg.

Zweimal kehrte Kiarostami nach Koker zurück, um nach einem verheerenden Erdbeben die Darsteller aus „Wo ist das Haus meines Freundes?“ aufzusuchen – und befragte in den Meta-Filmen „Und das Leben geht weiter“ (1992) und „Quer durch den Olivenhain“ (1994) zugleich seine eigene Rolle als Regisseur. Auch sein wohl berühmtestes Werk „Close-up“ (1990) verhandelt die Beziehung zwischen Kino und Wirklichkeit. Es ist das doppelbödige Doku-Porträt eines cinephilen Hochstaplers, der sich gegenüber einer bürgerlichen Familie als Regiegröße ausgibt. Kiarostami verknüpfte Szenen des Gerichtsfalls mit Reenactments, in denen sich die Betroffenen selbst spielen: eine so faszinierende wie berührende Meditation über die Instabilität von (Wunsch-)Identitäten, die gerade in Social-Media-Zeiten brisant erscheint. 1997 erfolgte mit der Goldenen Palme für „Der Geschmack der Kirsche“ Kiarostamis Kanonisierung – doch seine Filme harren immer der Neuentdeckung, egal, wie oft man sie gesehen hat. Auch Michael Haneke zählt zu ihren Fans: Heute, Freitag, führt er mit Filmmuseumsdirektor Alexander Horwath zum Retro-Start ein Gespräch über den Regisseur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2016)

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