„Die Akademie der Musen“: Wer inspiriert hier wen?

l'accademia delle muse
l'accademia delle muse(c) Stadtkino
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In „Die Akademie der Musen“ erkunden ein Professor und seine Studentinnen das (moderne) Musentum. Ein unverstellt sinnlicher Film.

„Aus welcher Sonn' ist mild und stolz entglommen / Der Augen Licht, die Fried' und Krieg gewähren / Die mir das Herz in Eis und Feuer wälzen?“ Schon der Renaissancedichter Francesco Petrarca fragte sich im Hinblick auf seine irdische Quellgottheit Laura: Was macht eine Muse zu dem, was sie ist? Eine klare Antwort gibt es wohl nicht: Sind es Künstler und Künstlerinnen, die einfachen Menschen eine himmlische Aura verleihen, weil sie ohne poetischen Ankerpunkt nicht leben können? Oder schüren die Musen selbst mit unnachahmlichem Gebaren die Faszination und Inspiration ihrer Günstlinge? Der spanische Regisseur José Luis Guerín macht diese Fragestellung zum Ausgangspunkt seines neuen Films „L'Accademia delle muse“, doch am Ende geht es um viel mehr – um Sprache, Liebe, und darum, wie das eine das andere bedingt.

Eine längst überholte Idee?

Gueríns Kino stand schon immer an der Kreuzung zwischen Wunsch und Wirklichkeit. In der Dokumentation „Innisfree“ erkundet er, wie die betörenden Illusionen des John-Ford-Klassikers „The Quiet Man“ auf das Selbstbild der Bewohner seines westirischen Drehörtchens abfärben. Sein Meisterwerk „In the City of Sylvia“ folgt einem jungen Mann, der Straßburg auf der Suche nach einer innigen Zufallsbekanntschaft – auch eine Art Muse – in eine wundersame Sehnsuchtslandschaft verwandelt. Als Basis dienten ihm dabei persönliche Erfahrungen, und auch sein aktuelles Werk hat einen realen Unterbau: die Universitätsvorlesungen des italienischen Philologen Raffaele Pinto. „L'Accademia delle muse“ wirkt zunächst wie ein salopp naturalistisches Dokumentarporträt des Professors und seiner Studenten – nicht zuletzt, weil Guerín sein Filmteam als Reaktion auf die Sparmaßnahmen der spanischen Kulturpolitik auf zwei Personen reduzierte. Aber nach und nach kommen die fiktionalen Facetten des Geschehens zum Vorschein und bringen es zum Schillern.

Beziehungsweise zum Klingen: Denn geredet wird in diesem Film sehr viel. Pinto debattiert mit seinen (überwiegend weiblichen) Seminarbesuchern über Dante, seine Beatrice und die Bedeutung von Bezugspersonen für die Entstehung von Poesie. „Dichtung ohne Musen ist nichts als solipsistischer Wahnsinn“, sagt er an einer Stelle. Das stößt natürlich auf Widerstand vonseiten seiner aufgeklärten Zuhörer: Ist das nicht eine längst überholte Idee aus patriarchalen Urzeiten? Darauf wendet der eloquente Dozent das Konzept ins Feministische: Die Muse hat die Macht, sie ist der wahre Schöpfergeist.

So weit, so sophistisch. Wirklich spannend wird es erst, als diese philosophischen Reflexionen beginnen, ins Private zu sickern, wo sie wiederum Gespräche befeuern. Guerín hebt eine Handvoll Figuren hervor und lässt sie über ihre eigenen Beziehungen sprechen. Sie werden zu Vertreterinnen eines modernen Musentums (der für Begehren so zentrale Aspekt der Distanz etwa wird anhand einer Onlineromanze verhandelt), ohne ihre Rollen einfach nur hinzunehmen. Die Kernthesen des Unterrichts werden am Alltag gemessen, mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen – manche finden in ihnen Erfüllung, andere nichts als Enttäuschung. Pintos Gattin wirft ihm währenddessen vor, seine (nicht immer rein platonischen) Verhältnisse zu Studentinnen seien beispielhaft für den Chauvinismus seiner Theorien, und man ist geneigt, ihr Recht zu geben. Dennoch weiß man bei den Begegnungen zwischen dem Lehrer und den Frauen seines Lebens nie, wer hier eigentlich wen inspiriert.

Kein einziger Kuss

In die intimen, auf Improvisationen der Laiendarsteller fußenden Dialogsequenzen legt Guerín im Übrigen sein eigenes (ästhetisches) Begehren. Meist filmt er sie durch Fenster oder Windschutzscheiben (wieder geht es um Distanz), in denen sich die Umgebung geisterhaft spiegelt. Dennoch bleiben die behutsamen Einstellungen ganz nah an den Gesichtern, notieren jede mimische Regung, jede subtile Emotionseruption mit größter Aufmerksamkeit. Man beobachtet, wie die Worte auf die Menschen zurückfallen, wie im Gespräch die Fantasie zu ihrem eigentlichen Recht kommt. Irgendwann ist das, was gesagt wird, gar nicht mehr so wichtig, und der Sprechakt selbst erscheint als Sehnsuchtsmotor. Das ist das größte Kunststück dieses unscheinbar vielschichtigen Films: Über den Umweg des intellektuellen Diskurses findet er zurück zu einer spürbaren, unverstellten Sinnlichkeit. Und das, obwohl die ganze Zeit über kein Kuss auf der Leinwand zu sehen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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