"The Hurt Locker": Todestrip in Bagdad

Hurt Locker Todestrip Bagdad
Hurt Locker Todestrip Bagdad(c) AP
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Bigelows Irak-Thriller kommt nach seinem Oscar-Triumph doch noch in Österreichs Kinos. Nicht nur im Verzicht aufs laxe liberale Händeringen bisheriger Irak-Filme ragt er aus der derzeitigen US-Produktion heraus.

Die US-Eliteeinheit nähert sich der Bombe in Bagdads Straßen: Der Anführer (Guy Pearce) und seine Männer wechseln Worte mit einer trainierten Coolness. Die Nervosität kommt von selbst. Die Soldaten versuchen, die Lage zu überblicken. Jeder Iraki ist ein potenzieller Feind: Der Einheimische, der zum Gruß die Hand ausstreckt, wird mit vorgehaltener Waffe niedergeschrien. Ein anderer greift zum Handy, die Situation eskaliert vollends: Der Teamleiter, im schweren Kevlar-Spezialanzug bei der Bombe, versucht umzukehren, als eine Telefon-Tastenkombination die Explosion auslöst. Die Zeit verlangsamt sich, Steine regnen, die Druckwelle erreicht den Fliehenden. Blut in seinem Helmvisier. Dann werden seine Habseligkeiten gepackt, um sie den Angehörigen zu schicken.

Die ersten zehn Minuten von Kathryn Bigelows eben mit sechs Oscars, darunter bester Film und beste Regie, ausgezeichnetem Irak-Thriller The Hurt Locker–Tödliches Kommando sind eine packende Spannungsminiatur. Und eine Grundsatzerklärung: Außer einem knapp halbstündigem Handlungsintermezzo ist Bigelows Film eine Serie solcher intensiven Action- und Suspense-Szenen. Entschärfen von Sprengladungen, beunruhigt von den Blicken Einheimischer. Schusswechsel in der Wüste, wo die Umrisse des Gegners im gleißenden Sonnenlicht kaum auszumachen sind.

Die Bilder der Einsätze wirken quasidokumentarisch, werden dabei im Schnitt rauschhaft verdichtet. Sensationell daran ist nicht nur das mittlerweile (gerade bei Actionfilmen) ungewohnte Gefühl völliger Orientierung: In jedem Moment ist hier klar, wer was und wo macht. Die stärkste Sensation ist aber die virtuose Verschränkung von Angst und Adrenalinausstoß. Bigelows Film beginnt mit einem Zitat aus der gefeierten kritischen Studie „War is a Force That Gives Us Meaning“ von US-Journalist Chris Hedges. Vier Wörter bleiben stehen: „...Krieg ist eine Droge.“ The Hurt Locker macht diese Idee als atemberaubend durchgehaltenes Hochdruckkino erfahrbar. Ein Countdown liefert die Struktur: Die Anzahl der verbleibenden Diensttage für die Entschärfer.

38 Tage sind es, als der Ersatzmann für den eingangs getöteten Teamleiter eintrifft. Der relativ unbekannte Jeremy Renner spielt ihn (gut): Dass frische Gesichter den Film tragen, während Stars wie Pearce fast sofort Bomben oder Kugeln zum Opfer fallen, trägt zur Intensivierung des Unsicherheitsgefühls bei. Mehr Unsicherheiten werden spätestens mit der Ankunft des Neuen klar: Das „Camp Liberty“ ist in „Camp Victory“ umbenannt worden – „hört sich besser an“. Es ist das Jahr 2004, die Soldaten suchen „Aufständische“, die Situation ist verwirrend, der Bombenspezialist versenkt sich völlig in seinen lebensgefährlichen Job.

„Wilder Mann“: 873 Bomben entschärft

Mit 873 entschärften Bomben ist der von Renner gespielte Sergeant ein Rekordhalter, „ein wilder Mann“, wie ein Colonel begeistert nach einer besonders tollkühnen Aktion meint. Bigelow zeigt da zuerst, wie der Bombenentschärfer gleichsam durchs Feuer geht, dann legt er angesichts einer gewaltigen Sprengstoffmenge, die den ganzen Straßenzug zerreißen würde, den Schutzanzug ab: „Wenn ich sterbe, will ich bequem sterben.“ Die Lässigkeit ist schlicht unheimlich: Von der tödlichem Extremsituation ist er abhängig, sie ersetzt ihm den Lebensinhalt. Eine selbstmörderische Ekstase, auf die Einsätze folgt stets gieriges Saugen an der Zigarette danach: „That was good.“

Während Bigelow mit kongenialer inszenatorischer Kraft das souverän praktizierte Handwerk des Kriegs zeigt, zeigt sie auch die Verletzlichkeit der Männer, die sich abends nach dem Dienst betrunken spielerisch prügeln – der vieldeutige Originaltitel bezieht sich ebenso auf den Detonationsbereich der Bombe wie auf den des Helden, in dem es auch tickt. Er ist auf dem Todestrip in Bagdad, und er ist es nicht allein, auch wenn er ein Extremfall ist: Das sorgt für den Sog der Bombenspannung, bezeichnenderweise nur unterbrochen von einer Episode, die die totale Betriebsblindheit des Besatzungssoldaten klar macht. Die Schlüsselszene von The Hurt Locker spielt auch nicht im Irak, sondern daheim. Da steht der Soldat fassungslos im „wirklichen Leben“: verloren vor dem Überangebot im Supermarktregal.

Nicht nur im Verzicht aufs laxe liberale Händeringen bisheriger Irak-Filme aus Hollywood ragt Bigelows kompromisslose Studie aus der derzeitigen US-Produktion heraus. Uraufgeführt wurde sie schon 2008 in Venedig, ein Kinostart hierzulande wurde 2009 vom desinteressierten Constantin-Verleih kurzerhand abgesagt. Nach dem Oscar-Triumph läuft er nun in Wien und Graz doch an: Die dringlich anzuratende Originalfassung exklusiv im Stadtkino Wien.

Auf einen Blick

„The Hurt Locker“ war der große Sieger bei den diesjährigen Oscars. In der Nacht auf Montag wurde er von Hollywoods Academy sechsfach prämiert: als bester Film, für die beste Regie – womit Kathryn Bigelow als erste Frau in dieser Kategorie gewann –, für das beste Originaldrehbuch (Mark Boal), für den besten Schnitt, den besten Tonschnitt sowie die beste Tonmischung.

Kathryn Bigelow (*1951, San Carlos, Kalifornien) ist durch ihre konkurrenzlosen Actioninszenierungen zur bekanntesten Filmemacherin der USA geworden. Vor der Regiekarriere war sie Malerin. Filme wie „Near Dark“ (1987), „Blue Steel“ (1990) oder „Strange Days“ (1996) etablierten sie als kompromisslose Genrespezialistin. „The Hurt Locker“ wurde als unabhängige Produktion in Jordanien realisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2010)

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