Neu im Kino: Stiller Neurosensuperheld

Kino Stiller Neurosensuperheld
Kino Stiller Neurosensuperheld(c) Wilson Webb (Tobis)
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Pointenreiche Bitternis: Noah Baumbachs tolle Tragikomödie. Der New Yorker Regisseur ist auf beiläufig beobachtete, katastrophal-komische Beziehungsverhältnisse spezialisiert. Ab Freitag.

Ganz beiläufig sagt jemand: „Viele Leute gehen in die Nervenheilanstalt.“ Roger Greenberg (Ben Stiller), vor anderthalb Dekaden gescheiterte Grungerocker-Hoffnung, kommt gerade aus einer. Nun soll er das Haus seines erfolgreichen Bruders hüten. Wenn man Greenberg nach seinen Plänen fragt, antwortet er: „Doing nothing.“ Abgesehen vom Nichtstun beschäftigt er sich mit dem Verfassen wortreicher Beschwerdebriefe, etwa an Starbucks.

Außerdem beschäftigt ihn Florence (Greta Gerwig), die Assistentin seines Bruders: Sie soll sich um den aggressiven bis depressiven Greenberg kümmern – also auch um dessen Aufgaben, wie die Versorgung des Familienhunds Mahler. Ihre Gefügigkeit macht Florence zur perfekten Kontrastfigur für den reizbaren und rechthaberischen Greenberg: ein Traum(a)paar. Sein ausführlicher Exkurs über die tiefere Bedeutung des alten Rockhadern „It Never Rains in Southern California“ („spielten sie immer, wenn es regnete“) prallt an ihr zwar mangels Kenntnis des Liedes ab. Dafür muss sie den Vierzigjährigen herumkutschieren: Greenberg, Außenseiter aus Prinzip, verweigert auch in der Autofahrerstadt Los Angeles das Wagenlenken.

Überhaupt: der Verkehr! Erst hat Greenberg eine traumatische Szene im Pool: Gut zehn Sekunden verzweifeltes Nichtschwimmerpaddeln wie ein Hündchen zu unheilvollem Flugzeuglärm. Abends glückt dann unverhofft sein abrupter Annäherungsversuch bei Florence (sie entschuldigt sich gleich für ihren irgendwie hässlichen BH), nur um noch traumatischer zu enden – Greenberg betätigt sich oral, sie fragt geistesabwesend lauschend: „War das ein Zug?“

Katastrophal-komische Beziehungen

Der New Yorker Regisseur Noah Baumbach ist auf beiläufig beobachtete, katastrophal-komische Beziehungsverhältnisse spezialisiert. Seine autobiografisch inspirierte Familiengeschichte The Squid and the Whale(2005) war für den Drehbuch-Oscar nominiert, aber Greenberg ist sein erster Film, der hierzulande ins Kino kommt. Es ist auch sein bislang bester. Ben Stiller überzeugt als sich unmöglich benehmender Verlierertyp: ein typischer Baumbach-Antiheld, aber ungewöhnlich ergreifend in seiner grausamen Deplatziertheit. Auf gewisse Weise ist er Leonardo DiCaprios Verzweifeltem im aktuellen Scorsese-Thriller Shutter Island nahe.

Greenberg fährt selbstverständlich selbstgefällig einfach drüber, wenn er mit seinem depressiven Ex-Bandkollegen (wunderbar: Rhys Ifans) plaudert: „Ich bin keiner dieser herausgeputzten L.-A.-Typen, die wollen, dass es immer nur um sie geht.“ Er lädt Florence zum Geburtstagsessen ins Restaurant und stiehlt sich bei ihrem Eintreffen davon, um am Telefon mit einer Exfreundin (Koautorin Jennifer-Jason Leigh) anzubandeln.

Auf einer unbehaglichen Kinderparty bemerkt Greenberg, dass sich hier alle Männer wie Kinder anziehen und alle Kinder wie Superhelden. Auch er selbst ist stecken geblieben und so eine Art Neurosensuperheld geworden: Geschützt von einem Panzer aus Ironie und Zitaten, der zusehends bröckelt, als er mit seinen Ängsten konfrontiert wird: Altern, Versagen, Bedeutungslosigkeit. Er hüpft auf Kokain und Antidepressiva durch eine ihm hoffnungslos ferne Teenagerparty und legt anachronistisch Duran Duran auf. Der folgende Fluchttraum einer Reise nach Australien erschöpft sich in der Erinnerung ans gleichnamige Lied von den Kinks. Dann will sich Greenberg mit einer Szene aus Wall Street erklären: Keiner weiß, wovon er redet.

Trotz vieler Pointen ist Greenberg im Kern pure Bitternis. „Die Jugend ist an die Jungen verschwendet“, sagt der Kumpel. Greenberg kontert: „Das Leben ist an die Menschen verschwendet.“ Dass dennoch Hoffnung bleibt, verdankt sich der heimlichen Hauptfigur des Films: Greenberg macht eine bekannte Entwicklung durch, doch Florence bleibt mysteriös – dem Neurotiker zugetan, obwohl sie es besser haben sollte. Die raffinierte Kunstlosigkeit, mit der die unauffällig grandiose Gerwig das (aus)spielt, ist der Herzschlag des Films. Baumbachs ebenso täuschendes Understatement beim Orchestrieren der Obsessionen ist seine Haut. Von fern sieht sie spröd und schuppig aus. Aber sie ist ganz zart und dünn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2010)

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