Film: Die Wirtschaftswelt als Horrorkomödie

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Ein Meisterwerk: Gerhard Friedls unkonventioneller Dokumentarfilm „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“

Nur 132 Minuten Laufbilder hat der 1967 im steirischen Bad Aussee geborene Filmemacher Gerhard Benedikt Friedl hinterlassen, bevor er im Juli 2009 aus dem Leben schied. Aber diese zweieinviertel Stunden sind Kino von Weltrang: Friedls Hauptwerk (und einziger Langfilm), die 73-minütige Dokumentation Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? läuft nun endlich an – und wirkt sechs Jahre nach ihrer Entstehung noch immer brandaktuell und revolutionär.

Friedls Methode ist ein diabolisch cleveres Puzzleprinzip, schon 1997 in seinem Kurzfilm Knittelfeld – Stadt ohne Geschichte perfektioniert. „Ton und Bild verfehlen einander“, hat Friedl die Idee beschrieben: Präzis komponierte, gestochen tiefenscharfe Alltagsbilder von Arbeitsplätzen oder Landschaften kollidieren mit einer Tonspur, auf der in täuschend neutralem Nachrichtensprecher-Duktus die unglaublichsten Geschichten labyrinthisch weitergesponnen werden. In Knittelfeld war es die haarsträubende Saga einer verbrecherischen Familie, in Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? ist es gar die deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Verbrechen und Gebrechen

Kunstvoll und mit gehöriger Ironie (in ihrer Endlosigkeit absurde Adelsnamen werden ebenso ausgekostet wie Zungenbrecher: „Fabriksschiff für Frostfisch“) wird der simple Tonfall von vermischten Nachrichten oder Polizeiberichten imitiert, um ein undurchschaubares Netzwerk zu entwerfen: Mit berühmten Namen wie Oetker und Thyssen wird Banales und Unerhörtes verknüpft – von Verstrickungen in Verbrechen bis zu den kuriosesten Gebrechen der Magnaten. Das Zusammenspiel von Bild und Ton löst sofort Assoziationen aus, aber meist sind die Anknüpfungspunkte versetzt: Das Zuseherbedürfnis nach Zusammenhang wird weniger frustriert als umgeleitet.

So demonstriert Friedls Film durch die pointierte Überspitzung von TV-Techniken einerseits das Scheitern der Medien, mit komplizierten (nicht nur wirtschaftlichen) Zusammenhängen umzugehen: Er macht noch einmal bewusst, wie oft angeblich „informiert“, aber eben nicht erklärt wird. Andererseits ist er selbst ein Katastrophenfilm als virtuoses Vexierspiel: In seinen geisterhaften Industrie- und Finanzwüsten bleiben das Geld und die Macht unsichtbar, obwohl sie alle Beziehungen zu steuern scheinen. Sie sind zugleich der blinde Fleck im Zentrum des Films und sein Fluchtpunkt: ein Paranoia-Paradox, das Thomas Pynchons würdig wäre. So evoziert Friedl auch gleichermaßen Horror vacui und hochkomische Verstörung. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

Ab Freitag im Filmhaus am Spittelberg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2010)

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