Im Kino: Auch Lesben dürfen bieder sein

Kino Auch Lesben duerfen
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Lisa Cholodenko zeigt in "The Kids Are All Right", dass auch homosexuelle Paare in der Vorstadt leben - und Probleme mit ihren Teenagern haben. Einen Imperativ zur Weltrevolution findet man in allerdings nicht.

Die Wiesen sind grün, die Vöglein zwitschern und die Sonne scheint in Kalifornien sowieso jeden Tag: Die beiden Frauen Nick und Jules sind jenseits der vierzig und führen ein glückliches Vorstadtfamilienleben. Jede von ihnen hat ein Kind mit in die Beziehung gebracht: der 15-jährige Laser (Jungstar Josh Hutcherson) und die just 18 gewordene Joni (Mia Wasikowska) verdanken sich einem anonymen Samenspender; und genau den wollen die beiden Teenager jetzt ausfindig machen. The Kids Are All Right, wie Regisseurin Lisa Cholodenko ihren sanft dahinplätschernden Familienfilm nennt, ist im Titel angelehnt an den „The Who“-Song „The Kids Are Alright“.

Rockige Riffs, egal, ob bezogen auf die Dramaturgie oder die Ästhetik, finden sich darin allerdings nicht, eher schon ist der Film eine lebensbejahende Ballade, vom Geist vergangener Utopien umweht. Nick und Jules (perfekt verkörpert von Annette Bening und Julianne Moore) konservieren ihr vordergründig trautes, eigentlich aber immer krankheitsanfälliger werdendes Zusammenleben ohne zu hinterfragen und fallen daher auch aus allen Wolken, wenn die Teenager das machen, was sie immer machen: die heile Elternwelt zerstören. Tatsächlich gelingt es Joni und Laser – natürlich über das Internet – ihren leiblichen Vater auszuforschen. Er heißt Paul, gehört als Chef eines alternativen Restaurants, für das er sein eigenes Gemüse anpflanzt, der kalifornischen Öko-Bohème an und hat seine großzügige (Samen-)Spende von damals eigentlich schon wieder vergessen. Mark Ruffalo spielt ihn überzeugend hemdsärmelig als Junge im Mann, der ohne Rücksicht auf Konsequenzen in den Tag hinein lebt – und den geordneten „Schöner Wohnen“-Alltag des Vorzeigepaars mit seiner Improvisationshaltung durcheinanderbringt.

Kein Imperativ zur Weltrevolution

Lisa Cholodenko, die selbst mit einer Frau zusammenlebt und das lange geplante Projekt aufgrund einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung aufschieben musste, bewegt sich mit The Kids Are All Right merklich auf vertrautem Boden: Ihre Darstellung der lesbischen Beziehung ist in keiner Minute beweisführend, sondern bestimmt von einer unaufgeregten Selbstverständlichkeit, wie man sie vor allem im Mainstream-Kino kaum kennt. Interessanterweise ist es aber genau das, was ihr einige Kritiker vorgeworfen haben: Immer noch scheint die Leinwanddarstellung von homosexuellem Alltag (vor allem in aufgeklärten heterosexuellen Köpfen) zwingend verknüpft zu sein mit einer progressiven Lebensführung und (wenn möglich) politischem Aktivismus.

Einen Imperativ zur Weltrevolution findet man in The Kids Are All Right allerdings nicht. Jules und Nick sind nicht mehr damit beschäftigt, sich einen Lebensraum zu erkämpfen: Sie haben Angst, ihn zu verlieren, wenn ihre Kinder aus dem Haus und sie selbst mit sich allein sind. Elternprobleme eben. Der Konservativismus von Cholodenkos Figuren ergibt sich aus ihrem Alter und ihrem sozialen Milieu: Sie sind eingerastet in einem für sie idealen Lebensentwurf, der Film sieht keinen Grund, sie in irgendeiner Art zu verteidigen gegen den Rest der Welt. Nicht einmal als Jules mit dem Kindesvater im Bett landet, wird die Homosexualität dramaturgisch verwertet: Es ist ein Seitensprung wie Millionen andere, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sein Kind ausgetragen hat, viele Jahre, bevor sie sich zum ersten Mal gesehen haben.

The Kids Are All Right ist eine überdurchschnittliche Tragikomödie über eine durchschnittliche Beziehung: Die Schauspieler sind perfekt besetzt, die Dialoge pfiffig, lebensnah und pointengeschwängert, und das Drehbuch ist so konstruiert, wie es sich für eine ordentliche Romantic Comedy gehört. Gerade weil sich Cholodenko nicht an der heterosexuellen Norm abarbeitet, ihr nicht entgegentritt, sie nicht zu zerschlagen versucht, erlaubt ihr Film kleine Revolutionen, erobert er sich große Freiheiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2010)

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