Lennon-Film: Musealer Fotoroman seiner Jugend

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In ihrem Regiedebüt "Nowhere Boy" erzählt Sam Taylor-Wood von John Lennons Teenagerjahren: groß budgetiert, aber bemüht und ohne neue Einsichten. Aaron Johnson spielt den jungen Lennon. Ab 8. Dezember im Kino.

Alles ist an seinem Platz: die engen Liverpooler Reihenhäuschen, die Frisuren, die Autos. Alles atmet den Geist der ausgehenden 1950er, als sich die Jugendkultur der britischen Insel nichts sehnlicher wünschte als eine Hüftschwunginfusion durch Elvis Presley, ein wenig ungestümen Rock 'n' Roll, um den bürgerlichen Mief von den Ornamenttapeten zu blasen. Die Koordinaten von John Lennons Jugend sind in Sam Taylor-Woods Regiedebüt Nowhere Boy bis zur Perfektion zurechtgelegt.

Fast museal wirken die Kamerafahrten durch Nachbarschaft, Schule und Hallen, wo der Keim für eine der außergewöhnlichsten Künstlerkarrieren des 20. Jahrhunderts gelegt wird. Und doch ist nichts an seinem Platz: Anfangs rockt Jerry Lee Lewis beweisführend von der Tonspur und beschwört, dass dieser hagere Brillenträger „a wild child“ ist. „You're going nowhere, boy!“, hält der Schuldirektor fest. John Lennon erwidert, wenn das „Nowhere“ den Genies vorbehalten sei, dann sei das der richtige Ort für ihn.

Verzweifelt und getrieben erzählt Taylor-Wood, die als Fotokünstlerin reüssierte, von einem verzweifelten Getriebenen: Nichts an der Inszenierung von Lennons „youth days“ vermittelt eine neue Einsicht oder wirkt mühelos. Jungstar Aaron Johnson absolviert den abgesteckten Tragödienparcours zwischen Muttertod und Teenie-Rebellion pflichtbewusst, aber mit zu breitem Ausdrucksrepertoire. Den zwei Frauen in seinem Leben hingegen schnürt das Drehbuch von Matt Greenhalgh (der schon das Skript zu Control über Joy-Division-Sänger Ian Curtis vergeigte) Klischees wie Betonklötze um die zierlichen Knöchel. Kristin Scott Thomas gibt die Tante, bei der Lennon aufwächst, mit eiserner Spießerinnenmiene, Anne-Marie Duff als Mutter schrammt nur haarscharf an einer psychotischen Boheme-Parodie vorbei.

Dazwischen hockt das Jungtalent traumverloren im Baumhaus und spielt Mundharmonika, gründet mit Freunden eine Band, lässt sich nach Auftritten feiern: Alles mit viel Budget veredelt, als Fotoroman zur Top-20-Rock-'n'-Roll-Revue arrangiert. Was da noch schiefgehen soll? Eigentlich nichts, tatsächlich alles. Am Ende der Abschied vom alten Leben, am Horizont winkt die Legende. „Hamburg? Humbug!“ quittiert die Tant' die Reisepläne. Der Rest ist Musikgeschichte. Drücken wir den Beatles die Daumen, dass sie nicht von Sam Taylor-Wood verfilmt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2010)

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