"Tournée": New-Burlesque-Revival

Seit anderthalb Jahren gibt es das New-Burlesque-Revival in den USA. Regisseur Mathieu Amalric huldigt sechs Stars der Szene in seinem Film "Tournée".

Zum Ausklang des vorigen Jahrhunderts erstand eine fast vergessene Tradition aus den ersten Dekaden desselben wieder: Burlesque wurde Mitte der 1990er in verwandelter Form als „New Burlesque“ neubelebt, in Revues wie „The Velvet Hammer Burlesque“ in Los Angeles oder „Dutch Weismanns’ Follies“ in New York, und wurde bald quer durch die USA wieder aufgegriffen. Die ursprüngliche Form der US-Burlesque war eine vor allem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts populäre Spielart des Vaudeville mit europäischen Einflüssen aus Travestie, Music Hall und Variéte mit Zirkuselementen – sogar Feuerschlucken und Schlangenmenschen-Akrobatik –, anzüglichem Humor und Striptease. Letzterer entwickelte sich allerdings schon aufgrund der sehr unterschiedlichen Gesetzeslage in den US-Bundestaaten zu einem sexuellen Spiel, das durch Andeutung Zensur vermied: mehr tease als strip, also. Der Niedergang der Burlesque nach 1930 hinterließ schließlich den reinen Striptease  als Rest. Zuvor dominierte ein erotischer Tanz, bei dem nur gewisse Kleidungsstücke abgelegt wurden – man kann dabei ruhig an Rita Hayworths berühmte Striptease-Einlage im Noir-Melodram „Gilda“ von 1946 denken, die nach dem Ausziehen ihrer Handschuhe endet.

Wundervolle Namen

Davon ließ sich die New-Burlesque-Generation ebenso beeinflussen wie von Burlesque-Berühmtheiten wie Gypsy Rose Lee, Sally Rand, Tempest Storm, Lili St. Cyr und der vor allem als Sex-Comedy-Filmdiva in Erinnerung gebliebenen Mae West. Mittlerweile ist die Neo-Burlesque-Szene auch in Kanada, England, Frankreich, Japan und Finnland am Wachsen, während in den USA Figuren mit wundervollen Künstlernamen nur so wuchern. Die hierzulande wohl berühmteste Vertreterin Dita Von Teese rangiert da weit hinter Kreationen wie Miss Trixie Lane – The Queen of Shame, Paula the Swedish Housewife, The Atomic Shells, Crystal Swarovski, Miss Kitty Baby, Glitzkrieg Burlesque und Nancy SinUltra.

Eine der wichtigsten New-Burlesque-Produzentinnen in Los Angeles hört indessen auf den hervorragenden Namen Lili von Schtupp. Nachdem sich bereits einige Dokumentationen dem Phänomen gewidmet haben, folgen jetzt auch die ersten Spielfilme: Hollywood versucht eben in „Burlesque“ Cher und Christina Aguilera als Vertreterinnen der Szene glaubhaft zu machen, der französische Schauspieler Mathieu Amalric hat sich hingegen für seine Regiearbeit „Tournée“ gleich sechs echte Stars der Szene besorgt, die sich bei der Erfindung ihrer Künstlernamen auch nicht lumpen ließen: Mimi Le Meaux, Dirty Martini, Roky Roulette, Kitten on the Keys, Evie Lovelle und Julie Atlas Muz. Lustigerweise stieß Amalric nur durch Zufall auf New Burlesque: Der erfolgreiche Akteur und gelegentliche Regisseur trug sich schon länger mit dem Gedanken, Colettes Buch von 1913 über ihre Zeit auf den Music-Hall-Bühnen in der französischen Provinz zu verfilmen. Erst in der Neo-Burlesque-Bewegung, in der herkömmliche Schönheitsideale wenig zählen und auch vollschlanke Frauen in glitzernden, meist selbsterfundenen Kostümen ihre Künste praktizieren, fand er die lang vergeblich gesuchte „Attraktion der Bewegung, Colettes Geschmack für Provokation, der vor Gesundheit birst – wie eine Freiheitserklärung des Körpers“. „Tournée“ ist eindeutig auch ein Liebesfilm, und zwar lange bevor sich auf der Leinwand eine Romanze entwickelt: Man spürt die Begeisterung Amalrics für diese Frauen und ihre unglaublichen Shows, wie Dirty Martinis Variation der klassischen Striptease-Nummer mit platzendem Ballon.

Schnauzbart-Tribut

TIPP

Die Handlung des Films folgt einer Frankreich-Tournee der US-Stars durch gar nicht einmal so prächtige Veranstaltungsorte in diversen Hafenstädten: Amalric selbst spielt einen abgehalfterten Produzenten, der sich durch die Entdeckung von New Burlesque wieder ins Spiel bringen will, während er wacklige Finanzen, Privatprobleme und Künstlerwünsche auszubalancieren sucht. (Inspiriert ist die Figur vom umtriebigen französischen Kunstfilmproduzenten Hubert Balsan, der sich 2005 das Leben nahm. Spielen sollte ihn eigentlich der noch umtriebigere portugiesische Filmproduzent Paulo Branco. Als der knapp vor Drehbeginn absagte, sprang Amalric selbst ein – ein Glücksfall. Sein Schnauzbart in der Rolle ist jedenfalls ein ausgewiesener Tribut an Branco.) „Tournée“ entfaltet sich ohnehin eher über Stimmungen, Konflikte und Emotionen, die in lose verbundenen Szenenfolgen hochbranden, eingefangen mit der Handkamera. Die Abruptheit passt zur Instabilität des Tourlebens und zur plötzlichen Magie, die zwischendurch in heruntergekommenen Hotellobbys ausbricht. Auch die vielleicht schönste Szene des Films ereignet sich unvorhersehbar und ohne weiteren Bezug zum Rest: Als Amalrics Figur an einer Tankstelle haltmacht, nimmt die Plauderei mit der Kassierin schlagartig eine romantische Wendung, und für einen kurzen Moment scheint alles möglich. Gerade weil er sich nicht an Erzählkonventionen hält, entwickelt „Tournée“ einen speziellen Charme und findet zu Momentaufnahmen großer Gefühle. Auch darin trifft er irgendwie das Wesen von New Burlesque.

Tournee kommt im Februar 2011 ins Kino.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.