Liebe im Film: Ein ganz neutraler Seitensprung

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Silvio Soldinis schönes Beziehungsdrama "Was will ich mehr" erzählt eigentlich eine ganz einfache Geschichte, doch mit glaubhaft vielschichtigen Charakteren: ein zurückhaltender, aber umso nachhaltigerer Film.

Der Titel seines neuen Films ist wie ein Leitspruch für das jüngere Werk des italienischen Regisseurs Silvio Soldini: Was will ich mehr. Immer wieder werden bei Soldini auf den ersten Blick zufriedene Mittelstandsexistenzen aus der Bahn geworfen. Die Tonlagen sind dabei allerdings ganz unterschiedlich: Im Publikumserfolg Brot und Tulpen (2000, mit Bruno Ganz) entkam eine vernachlässigte Gattin in eine märchenhafte Liebesfantasie; in Tage und Wolken (2007) drohten die finanziellen Nöte nach der plötzlichen Arbeitslosigkeit eines Ehemanns die Liebe eines glücklichen Bürgerpaars zu zerfressen.

Schwierige Stelldicheins

Im neuen Film trifft es wie aus heiterem Himmel die Versicherungsangestellte Anna (Alba Rohrwacher), die in langjähriger, bislang kinderloser Beziehung mit einem beleibten und gutmütigen Partner (Giuseppe Battiston) lebt: Alles scheint in Ordnung, und doch ist da ein uneingestandener Mangel. Der italienische Originaltitel Cosa voglio di più ist in einem Wort zusammengeschrieben, als wär's ein Raunen im Kopf, jedenfalls keine Frage: Waswillichmehr. Und doch gibt es eine Antwort: Leidenschaft.

Allein ein kurzer Wortwechsel mit dem Kellner Domenico (Pierfrancesco Favino) lässt eine Sinnlichkeit aufflackern, die Anna schon längst vergessen hat. Soldinis angenehm nüchterner, realistischer Inszenierungsstil wandelt sich jedoch nicht, als mit einem Schlag Aufregung ins langweilige Leben kommt: Als Anna und Domenico wiederholt versuchen, ein Stelldichein zu arrangieren, verläuft das fast wie in einer Farce. Lange kommt das Paar über hingebungsvolle Küsse nicht hinaus. Ob im Büro nach Dienstschluss oder in irgendeinem Hauseingang: Überall lauern Störenfriede.

Schließlich werden die eingespielten Lebensverhältnisse gestört, nachdem sich eine Lösung findet: Mittwochs geht Domenico ins Schwimmbad, mit Anna mietet er sich im Stundenhotel nebenan ein – und zögert erst beim Bezahlen. Seine Ehe mit zwei Kindern leidet unter ständiger Geldknappheit, und seine attraktive Gattin (Teresa Saponangelo) hat offenbar obendrein eine Art sechsten Sinn für Seitensprünge.

Doch im plüschroten, verspiegelten Hotelzimmer – ein radikaler Gegensatz zur bewusst anonym gehaltenen Großstadtkulisse Mailands – verfliegen alle Zweifel: Soldini zeigt den Sex ausführlich, bei aller Begierde aber eindeutig als Liebesszene. Statt die Dinge in Dialogen zu zerreden, werden in Was will ich mehr die Gefühle und Gedanken meist durch genau beobachtetes Verhalten beschrieben: Ein Blick, ein Zögern kann alles verraten. Man versteht und spürt die Attraktion des ungleichen Paars. Favinos Figur ist muskulös-attraktiv im herkömmlichen Sinn, hat aber einen sensiblen Charakter, Rohrwacher ist ohnehin eine ungewöhnliche Präsenz im derzeitigen italienischen Kino: blass, zierlich, eine uneingestandene Traurigkeit schimmert fern in den schwarz umschminkten Augen.

Statt des bei diesen Sujets üblichen melodramatischen Exzesses – wie zuletzt im aufdringlichen Italo-Barock von I Am Love (mit Rohrwacher in einer Nebenrolle) – beharrt Soldini auf Präzision und Neutralität: Er ist der mittlerweile leider recht selten gewordene Fall eines europäischen Mainstream-Filmemachers mit Anspruch, der noch ein Bedürfnis hat, von wirklich wirkenden Emotionen und Verhältnissen zu erzählen.

Romantisches Leiden

Unvermeidlicherweise wird die Sehnsucht der Liebenden nacheinander größer, werden ihre Arrangements also immer komplizierter, inklusive der Lügengespinste – ohne dass der Regisseur-Koautor Partei für irgendeine Seite ergreift. Stattdessen gelingt Soldini ein zurückhaltendes, darin umso nachhaltigeres Porträt romantischen Leidens. „Kannst du nicht einfach in der Gegenwart leben?“, fragt Domenico einmal im Bett – aber darauf gibt es keine einfache Antwort. Wer mehr will, muss dafür etwas aufgeben, und die Entscheidung kann nicht für immer aufgeschoben werden. Auch um das zu zeigen, braucht es kaum Worte. In der Hinsicht ist Was will ich mehreigentlich eine ganz einfache Geschichte, aber eine mit glaubhaft vielschichtigen und widersprüchlichen Charakteren: Das macht den ganzen Unterschied.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2011)

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