Kino: Sherlock Holmes ohne Eigenschaften

(c) Daniel Smith (Tobis)
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"A Game of Shadows": Guy Ritchie zeigt auch in seinem zweiten Holmes-Film den Meisterdetektiv als durchschnittlichen Blockbuster-Helden.

Keine andere literarische Figur hat es auf so viele Filmadaptionen gebracht wie Sherlock Holmes, nicht immer ohne Verluste. Beim ersten Kinoauftritt war der Meisterdetektiv kaum zu erkennen: Im einminütigen „Sherlock Holmes Baffled“ (1900) foppt ein Einbrecher dank filmischer Tricks einen (bis auf die im Titel angekündigte Verblüffung) eigenschaftslosen Herrn mit Morgenrock und Zigarre. Dass dieser Sherlock Holmes ist, erschließt sich dabei nur durch den Titel.

Über 110 Jahre später ist es nicht viel anders: In „Sherlock Holmes: A Game of Shadows“ wartet man ständig darauf, dass sich der Titelheld als „Holmes, Sherlock Holmes“ vorstellt. Denn wie schon in seinem ersten Holmes-Film vor zwei Jahren hat der englische Regisseur Guy Ritchie, zu Recht bekannter als Exmann von Madonna, eine andere britische Institution im Sinn: Bond, James Bond. Wo die brillante BBC-Serie „Sherlock“ erfolgreich zeigt, wie man den Exzentriker Holmes in die Gegenwart holen kann, rauben ihm Ritchies Filme alles, was ihn einzigartig macht: Holmes als durchschnittlicher Blockbuster-Held von heute, der halt durch die viktorianische Ära saust. Tom Cruise im vierten „Mission: Impossible“-Film liefert gerade direkte Kino-Konkurrenz im Action-Segment „Möchtegern-007“. (Die irritierende Abgehobenheit von Holmes wird in „A Game of Shadows“ auf dessen Bruder Mycroft übertragen, was Stephen Fry die einzige lustige Darstellung im Film erlaubt.)

Robert Downey jr.: Grazie

Umrisse einer Handlung zeichnen sich ab, nehmen jedoch zwischen dem Wirrwarr der Kampfszenen nie recht Gestalt an: Holmes jagt jedenfalls Professor Moriarty (Jared Harris), den „Napoleon des Verbrechens“ durch Europa. Die anhaltende Faszination von Arthur Conan Doyles Büchern verdankt sich der Verbindung der Abenteuer des Detektivs mit einer sich über Jahrzehnte entwickelnden Charakterstudie: Jede Holmes-Geschichte bringt die Lösung eines Rätsels – und vertieft zugleich das Geheimnis der Hauptfigur. Bei Ritchie bleibt nur das Bubenabenteuer, ganz im Sinn britischer „lads“: röhrend, geheimnislos und wegen der unübersichtlich hysterischen Erzählweise völlig spannungsfrei.

Darsteller Robert Downey jr. gibt der Hysterie seines Holmes tänzerische Grazie, Jude Law als Watson wirkt weiter unentschieden, nicht zuletzt in endlosen Dialogen, die bleischwer den homosexuellen Aspekt ihrer Beziehung parodieren. Im Innern von Holmes tut sich hier sonst aber gar nichts, weil die entscheidenden Reflexionspausen fehlen. Geblieben ist wie im ersten Teil die extravagante Idee, Holmes Gedankengänge beim Kämpfen zu illustrieren – aber auch nur, um zu verhindern, dass die Zuseher auf eigene Gedanken kommen (und womöglich ermüdet fliehen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2011)

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