Agentenkrimi: Der Spion, der aus der Kälte zurückkam

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Die Neuverfilmung von John le Carrés Agentenklassiker „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ trifft den Kino-Zeitgeist: Ein Beleg für die andauernde Relevanz des Bestsellerautors, oder ein Missverständnis?

Eine merkwürdige Sehnsucht nach der Zeit des Kalten Kriegs grassiert dieser Tage im Mainstream-Kino: Eben wandelte Tom Cruise im letzten „Mission: Impossible“-Film in James Bonds Fußstapfen und durch eine altmodische Handlung mit russischen Nuklearwaffen-Codes, die für eine Attacke auf die USA geraubt werden. Der viktorianische Meisterdetektiv Sherlock Holmes wird von Robert Downey jr. in den (sonst unpolitischen) aktuellen Filmadaptionen auch als 007-Wiedergänger gespielt. Nur das anstehende Remake desInvasionsfilms der Reagan-Ära, „Die rote Flut“, versucht eine Modernisierung: Diesmal fallen Nordkoreaner statt Sowjetsoldaten in den USA ein.

Der Schlüsselfilm zum Thema ist aber „Dame König As Spion“, die Neuverfilmung eines der berühmtesten Romane des britischen Spionage-Spezialisten John le Carré. Das Buch – im Original „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ – machte 1974 einen unauffälligen Bürokraten vom MI6 zur Ikone des Kalten Kriegs: den brillanten Strategen George Smiley, dem Alec Guinness 1979 ein populäres Image gab. In einem brillanten BBC-Mehrteiler wurde le Carrés voluminöser Roman über die Suche nach einem Doppelagenten unter den Leitern des britischen Geheimdiensts kongenial adaptiert und ein weltweiter Hit. Der Schriftsteller selbst war so von Guinness' meisterhafter Interpretation angetan, dass er im nächsten Smiley-Roman den Titelhelden entsprechend umgestaltete.

Nostalgisches Schwelgen im Retro-Gefühl

Das Vorbild Guinness ist auch bei Gary Oldmans eindrucksvollem Smiley-Porträt im neuen Film unübersehbar. Aber zwei andere Faktoren sind bei der Neuauflage eigentlich entscheidend. Wahre Dekor-Exzesse garantieren maximales Retro-Gefühl: Die Kinoversion hat mehr – oder jedenfalls: aufdringlichere – 1970er-Atmosphäre als die originale Fernsehserie aus der Ära. Das nostalgische Schwelgen in sorgfältig rekonstruierten historischen Texturen passt zur anderen außerordentlichen Eigenschaft des Films: Erstmals wurde nicht ein kontemporärer Roman von le Carré verfilmt, sondern ein etablierter Klassiker. Dahinter scheint nicht zuletzt der Wunsch nach einer Zeit zu stehen, in der die Welt noch leichter einzuteilen war.

Eine Ironie wie aus einem Buch le Carrés: Schließlich hat der britische Bestsellerautor solche einfachen Einteilungen immer unterlaufen. Sein Weltruhm kam schlagartig 1963 mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“: Ein britischer Agent wird im Doppelspiel der westlichen und östlichen Geheimdienste geopfert (Smiley taucht als Nebenfigur auf). Die Berliner Mauer war als entscheidender Schauplatz die ideale Metapher: Auch darin traf le Carré den Zeitgeist. Zudem bestach der als David Cornwell geborene Autor durch Know-how: Erst später gab er zu, dass er in Europa, auch Wien, als Geheimagent tätig gewesen war, wenn auch in „unwichtiger“ Position. Aus Frustration begann er nebenher unter Künstlernamen zu schreiben: Das gab seinen raffinierten Agentenfiktionen eine Glaubwürdigkeit und Tiefe, die sie als intellektuelle Antwort auf die kruden Bond-Fantasien der 1960er etablierten. Le Carrés Meisterstück war die „Karla“-Trilogie, die das Dilemma seines ersten Erfolgsbuchs als epischer Bildungsroman vertiefte.

Pyrrhussieg über den Sowjet-Widersacher

Smileys Auseinandersetzung mit seinem Sowjet-Widersacher Karla in „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“, „The Honourable Schoolboy“ und „Smiley's People“ konnte nur auf einen Pyrrhussieg hinauslaufen. Denn seinen absolutistischen und absolut gewissenlosen Gegner konnte Smiley nur besiegen, indem er auf dessen Methode zurückgriff: Der Zweck heiligt die Mittel. Damit unterminierte Smiley aber seine eigene moralische Rechtfertigung: Die Verteidigung einer „vernünftigen“ Ideologie als Bastion gegen skrupellosen Totalitarismus. Zugleich liefern die Bücher ein so trockenes wie starkes Sinnbild für das Schicksal des 20.Jahrhunderts: Endlose Diskussionen kühl kalkulierender Männer hinter Schreibtischen entscheiden die globalen Entwicklungen. Packend wurde diese Schilderung durch psychologischen Reichtum, genaue Recherche, atmosphärische Präzision, klassenbewusste Gesellschaftsporträts und viel hintersinnigen Humor.

Damit war le Carré aber auch auf eine Schiene festgelegt, dabei sah er seine Spionage-Sujets immer nur als Vehikel für die comédie humaine. Zum Mauerfall drohte dem Autor kurz, für veraltet erklärt zu werden, aber er wehrte souverän ab. Zeitgerecht schrieb er 1989 in „Das Russland-Haus“ über die militärisch-industriellen Interessen, den Waffenhandel auch nach dem Ende des Kalter-Krieg-Wettrüstens florieren zu lassen. Nur ein Beispiel für die dauerhafte Relevanz von le Carrés Romanen. Dazu passt, dass er einer der wenigen Erfolgsautoren ist, die auch in Interviews und Artikeln fundiert und kompromisslos kritisch über die gegenwärtigen politischen Entwicklungen wettern.

Warnung vor „Exzessen des Kapitalismus“

In einem späteren Roman legt er Smiley den Satz in den Mund: „Jetzt, wo wir die Exzesse des Kommunismus erledigt haben, müssen wir uns mit den Exzessen des Kapitalismus beschäftigen.“ Le Carré selbst vergleicht das Jahr 1989 interessanterweise mit dem Jahr 1917: Nach dem Ersten Weltkrieg wäre die Angst vor dem drohenden Chaos ungleich größer gewesen als nach dem Zweiten. Bei allen Qualitäten als Agentenkrimi verzichtet der neue Smiley-Film aber gerade auf solche soziopolitischen Ansätze: Das Finale wirkt wie eine kaum verschlüsselte Verteidigung des eigenen künstlichen Kalter-Krieg-Revivals. Der enttarnte Doppelagent rechtfertigt den Verrat als ästhetische Entscheidung: „Der Westen ist so hässlich geworden.“

"Tinker, Tailor, Soldier, Spy" (Dame König As Spion): Ab 2. Februar im Kino

Zur Person

John le Carré (*1931 als David Cornwell) ist einer der erfolgreichsten britischen Autoren. Der Geheimagent begann nebenbei mit der Schriftstellerei, 1963 wurde er mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“ schlagartig berühmt. Seine berühmteste Figur ist der Agent George Smiley: Die Neuverfilmung des Smiley-Buchs „Dame, König, As, Spion“ läuft am 3.2. an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2012)

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